Joseph II. und die Erste Wiener Medizinische Schule
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Presse07.04.2020
„Vollständige medicinische Polizey“
In die Zeit Joseph II. fällt ein entscheidender Entwicklungsschub der staatlichen Gesundheitsversorgung. Die Planung des Allgemeinen Krankenhauses entsprach absolutistischen Ansprüchen und stellte zugleich die Weichen für die Verbindung von Klinikbetrieb und medizinischer Forschung.
„Das Allgemeine Krankenhaus ist umstrahlt von der Gloriole Joseph II., es ist eine Schöpfung des edlen Monarchen, der seinem Volke, wie es auf seinem Denkmal heißt, nicht lange, aber mit voller Hingabe lebte“: So euphorisch äußerte sich Max Neuburger, der Gründungsdirektor des Wiener Instituts für Medizingeschichte im Josephinum, im Jahr 1935 über Joseph II. und die unter seiner Regierung verwirklichten medizinischen Reformen und Vorhaben. Diese Verherrlichung könnte auch mit dem historischen Hintergrund zu tun gehabt haben: Angesichts der politischen Verhältnisse des Jahres 1935 mag Neuburger, der wenige Jahre später als Jude ins Exil getrieben werden sollte, ein der Aufklärung und Vernunft verpflichteter Despot geradezu als Verheißung erschienen sein.
Kaiser Joseph II, 1771, Porträt von Joseph Hickel, Wien Museum Kaiser Joseph II, 1771, Porträt von Joseph Hickel, Wien Museum Die neuere Historiographie ist da meist weniger respektvoll. Oft wird Joseph II. als „gescheiterter Reformer“ gesehen, der Oxforder Historiker Robert John Weston Evans bezeichnete den Monarchen als „noblen, aber letztlich unausstehlichen Antihelden“. Der Kaiser und sein Wirken polarisieren offenbar bis in die Gegenwart. Die Kontroversen beziehen sich dabei nicht nur auf seine Person, sondern auch auf den historischen Begriff des Josephinismus als einer österreichischen Variante des Aufgeklärten Absolutismus. Doch worin liegt die Affinität zwischen dem Josephinismus und der Medizin begründet? Der Josephinische Reformabsolutismus war in erster Linie ein Projekt zum Aufbau eines einheitlich und zentral gelenkten Staates, der über die entsprechenden Machtmittel zur Durchsetzung seiner Interessen nach innen und nach außen verfügt. Dazu gehörte die Zurückdrängung des Einflusses der alten feudalen Ordnung – von Sonderrechten und autonomen Einflussbereichen des Adels, der Städte und Territorien und natürlich der Kirche. Im Bezug auf die Wissenschaft einschließlich der Medizin sind in diesem Zusammenhang auch die Universitäten zu nennen, die im Zuge entsprechender Reformen bereits unter Maria Theresia praktisch verstaatlicht wurden.
Hiernoymus Löschenköhl: Die Wiener Bürger huldigen Joseph II, kolorierter Kupferstich, 1782-92, Wien Museum Hiernoymus Löschenköhl: Die Wiener Bürger huldigen Joseph II, kolorierter Kupferstich, 1782-92, Wien Museum Ein wichtiger Aspekt der neuen Gestalt des Staates ist ein neues, unmittelbares Verhältnis zwischen dem Souverän und seinen Untertanen, die sich schrittweise als Staatsbürger bzw. in ihrer Gesamtheit als Bevölkerung eines zunehmend territorial integrierten Staates konstituieren, dessen wichtigste Machtbasis sie dann auch bilden. Michel Foucault hat diese Entwicklung als das Erreichen der biopolitischen Modernitätsschwelle bezeichnet und damit den Beginn einer Epoche in der europäischen Geschichte definiert, die wir immer noch als die unsere wiedererkennen können. Das Charakteristische daran ist, dass sich die Funktion der Souveränität nun dadurch definiert und legitimiert, dass sie die biologische Existenz der Menschen, die Förderung von Gesundheit und körperlichem Wohlergehen der Bevölkerung, zum eigentlichen Gegenstand des Politischen macht.
Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien Mit seinem monumentalen Werk „System einer vollständigen medizinischen Polizey“ (1779 bis 1819) schuf Johann Peter Frank die Grundlagen für die moderne Hygiene, Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien Dieser Vorgang lässt sich beispielhaft illustrieren an Johann Peter Franks monumentalem Werk „System einer vollständigen medicinischen Polizey“, dessen Publikation in sechs Bänden nicht weniger als 40 Jahre in Anspruch nahm, von 1779 bis 1819. Darin unternimmt der Autor den Versuch, jeden Aspekt der menschlichen Existenz unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Gesundheit zu betrachten; er wird damit nicht nur zu einem der Begründer der Hygiene als wissenschaftlicher Disziplin, sondern er liefert auch die Grundlagen für ein flächendeckendes, integriertes System des öffentlichen Gesundheitswesens.
Frank wurde 1785 Professor an der Medizinischen Klinik in Pavia und Generaldirektor des Medizinalwesens in der österreichischen Lombardei. Mit seiner Berufung 1795 an die Spitze des Wiener Allgemeinen Krankenhauses konnte er seine Anschauungen dann in dessen Reformierung in die Praxis umsetzen.
Die Grundlagen für die Erste Wiener Medizinische Schule wurden bekanntlich bereits 40 Jahre zuvor durch Maria Theresia geschaffen, und zwar 1745 durch die Berufung von Gerard van Swieten als ihren Leibarzt. 1754 wurde dessen Mitschüler und späterer Nachfolger als kaiserlicher Leibarzt Anton de Haen als Professor der Medizinischen Klinik im Wiener Bürgerspital zu einem wichtigen Wegbereiter von neuen Prinzipien wie dem Unterricht am Krankenbett und der Verbindung von Klinikbetrieb und Forschung, die dann später auch im Allgemeinen Krankenhaus umgesetzt wurden.
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