Miriam Cahn. Ich als Mensch
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Ausstellung12.07.2019 - 27.10.2019
Mit über 200 Werken aus allen Schaffensphasen würdigt das Haus der Kunst das mehr als fünf Jahrzehnte umspannende künstlerische Lebenswerk von Miriam Cahn. Ihr Oeuvre leistet einen Beitrag zur Diskussion um neue Körper- und Menschenbilder mittels der Malerei. Miriam Cahn (geb. 1949 in Basel) hat bereits in ihrem Frühwerk den weiblichen Körper als Träger sozialer Bedeutung ebenso wie seine Einbindung in ein Netzwerk von Machtstrukturen thematisiert. Die Reduzierung der Frau auf ihre Körperlichkeit wurde in den 1970er-Jahren in Kunstformen wie Performance oder Video aufgegriffen, wobei der Körper als künstlerisches Material und Instrument diente. Miriam Cahn überführte diese Ideen und Praktiken schon damals in eine radikal erweiterte Malerei.
In ihren Bildwelten forciert Miriam Cahn die Aufhebung von gesellschaftlichen Normierungen und tritt einer tradierten Inszenierung des Weiblichen sowie geschlechterspezifischen Rollenverhältnissen entgegen. Körperliche Erfahrungen, die sich der visuellen Darstellung gemeinhin entziehen, versucht sie dennoch ins Bild zu setzen. Schon seit den frühen, stark vom Feminismus geprägten Jahren bis hin zum Spätwerk steht der Körper im Mittelpunkt ihrer Malerei, wobei Cahn ihn ausschließlich in seiner Nacktheit wiedergibt und so in einer psychologisierten Sphäre der Ort- und Zeitlosigkeit situiert. In seinen Linien klar umrissen, zerfließt der Körper dennoch mit der Umgebung. Die Schnittstelle von Innen- und Außenwelt und die wesentlichen Bedingungen des Menschseins beschäftigen das Denken der Künstlerin nachhaltig: „wir wissen nicht wirklich, was Haut ist oder wo die Grenze zwischen dem Äußeren und dem Inneren verläuft“, so Miriam Cahn. Sie zeigt den Menschen – unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit – in seiner Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit. Insbesondere in ihren späteren Ölmalereien hat sie zu neuen Lösungen für die Verbildlichung der Destruktion von Identität jenseits binärer Geschlechterkonstruktionen gefunden.
Die Ausstellung vereint Schlüsselwerke aus allen Werkphasen, von den frühen Super-8-Filmen und den Skulpturen über die überlebensgroßen Kreidezeichnungen und Aquarelle bis hin zu den Ölbildern des Hauptwerks. Für die Anfänge der in Basel lebenden Künstlerin stehen die um die Jahreswende 1979/80 ausgeführten Kohlezeichnungen auf Betonwänden und Pfeilern in den Unterführungen und Tunneln der Basler Stadtautobahn „Nordtangente“. Cahn wurde damals des Vandalismus bezichtigt und mit Schadensersatzforderungen konfrontiert. In dem sich anschließenden Gerichtsverfahren trat sie für ihre Überzeugung ein, dass das Private, das Intime öffentlich gemacht werden müsse, was sich auch im Titel der Aktion, „mein frausein ist mein öffentlicher teil“, offenbart. Ebenso wie das fortan immer wieder auftauchende Haus waren auch die anderen von Cahn verwendeten und von ihr als „Zeichen“ apostrophierten Motive sichtbarer Ausdruck ihres Ringens um eine größere Teilhabe der Frau am öffentlichen Leben und ihres Kampfes gegen archaische Vorstellungen einer Geschlechterbeziehung.
Miriam Cahn studierte an der Kunstgewerbeschule in Basel (1968-1973), wo sie in der Grafikklasse die Techniken und Strategien öffentlicher Meinungsbildung kennenlernte. Gleichzeitig erlebte sie in ihrem Umfeld die Etablierung neuer künstlerischer Ausdrucksformen wie Performance und Videokunst. Neben Friederike Pezold, Ulrike Rosenbach, Jochen Gerz oder Pipilotti Rist war auch Miriam Cahn Teil jener heterogenen Avantgarde, die das Verhältnis von eigenem Körper und Gesellschaft neu bestimmen wollte. Ihre überlebensgroßen, auf dem Boden entstandenen Kreidezeichnungen auf Pergament wie „handelsschiff“, „doppelkanone“, „W H worldtrade“ oder „computer“ (alle 1982) dienen der Sichtbarmachung einer patriarchalen Eroberungsmentalität, aber auch andere Arbeiten wie „haus“ (1982), „menstruationshaus“ (1981) und „k-bett“ (1982) verweisen auf Machtstrukturen und konstruierte Repräsentationsmuster. Performative wie intuitive Abläufe gewannen zusehends Einfluss auf Cahns Bildgestaltung – eine bewusste Abkehr vom Ideal der handwerklichen Perfektion und vom Geniekult in der Malerei.
Die Rauminstallationen mit dem Titel „WACHRAUM“ von 1982, die verschiedene männlich wie weiblich konnotierte Zeichen vereinen, kreisen unter anderem um den Klinikaufenthalt und den schmerzlichen Verlust der Schwester, ein Thema, das zuvor bereits in der Werkserie „schweigende schwester“ (1980) Gestalt erlangt hatte. Diese Arbeiten entstanden aus dem Bedürfnis heraus, Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit, Körpererleben und Psyche – insbesondere aus der Perspektive der Frau – ins Bild zu setzen. Anhand des Dialogs der Zeichen werden darüber hinaus komplexe Zusammenhänge von Handel und Wirtschaft, Information und Macht, Kontrolle und Unterdrückung, Krieg und Zerstörung ebenso wie von existenziellen Gegebenheiten wie Krankheit und Verletzlichkeit, Leben und Tod zur Anschauung gebracht.
Im Rahmen der Werkreihe „Das klassische Lieben“ von 1981 schuf Miriam Cahn virtuose Körperdarstellungen in vermeintlich akademischer Manier, die sie jedoch Pornofilmen entlehnte. Sie thematisiert zwischenmenschliche Anziehungskraft und Abstoßung, die Ambivalenz von Lust, Sexualität, Gewalt und Lieben. Auf diese Weise schafft sie Gegenbilder zu einem dem Humanismus entlehnten Kunstbegriff des „Schönen und Reinen“ und wirkt der Unterschätzung der kreativen und sexuellen Potenz der Frau entgegen.
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12.07.2019 - 27.10.2019
Öffnungszeiten: tägl. 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr Veranstalter: Künstlerverbund im Haus der Kunst e.V.