Frankfurt
FREIHEIT DES SEHENS.
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Ausstellung08.03.2012 - 28.05.2012
Vor dem Hintergrund eines engen akademischen Ausbildungssystems ist das Jahrhundert von Freiheitsbestrebungen der Künstler geprägt. In der Zeichenkunst können sie diese praktizieren und ausleben. Joseph Anton Koch etwa flüchtet aus dem Korsett der Stuttgarter Hohen Karlsschule, um in Rom mehrere Generationen von deutschen Künstlern an das Landschaftsstudium in freier Natur heranzuführen. Ferdinand Olivier wendet sich, wie seine nazarenischen Künstlerfreunde, von der klassizistisch ausgerichteten Akademie in Wien ab, um in der altdeutschen Kunst einen Lehrmeister für seine zarten, metallisch linearen Landschaften zu finden. Die Nazarener in Rom sagen sich von den Inhalten der auf die Antike bezogenen klassizistischen Kunst los und streben nach einer religiösen Erneuerung der Gesellschaft durch ihre Kunst. Ihre monumentalen christlichen Programme halten sie in großformatigen Kartons fest, die als gezeichnete Fassung der Fresken besonders geschätzt und bewahrt wurden.
Illustration, Karikatur und Arabeske sind als zeichnerische Eigenart dieser Epoche zu berücksichtigen. Völlig neu ist, dass hier eine unterhaltsame, dekorative und amüsante Facette zugelassen wird, hinter der sich freilich häufig ein tieferer Sinn verbirgt (Cornelius’ „Faust“-Illustrationen, Ludwig Richters Märchenillustrationen und Wilhelm Buschs Bildergeschichten).
Von der Mitte des Jahrhunderts an entledigt sich die Zeichnung des Anspruchs, biblische, literarische oder andere narrative Elemente transportieren zu müssen. Der subjektive Blick des Künstlers kann sich auf die reine Form des Motivs konzentrieren. Künstler wie Leibl und Menzel („Studie zu einer jungen Frau“) fordern zum unabhängigen Sehen auf – „Sehen lernen ist alles!“ – und erzeugen erstaunliche Realitätsausschnitte. Der Mensch in seinem Alltagsleben und bei der Arbeit wird nun zum Gegenstand und kann in Zeichnungen mit der unmittelbaren Frische der Augenblicksbeobachtung festgehalten werden (Liebermanns „Nähende Mädchen“, Hodlers „Mäher“).
Nach einer Blüte der Bildniskunst in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, besonders unter Künstlern als Freundschaftsbild oder Selbstporträt (Peter Cornelius’ Bildnisse von Friedrich Olivier und Theodor Rehbenitz oder Selbstbildnis von Friedrich Nerly), wird die menschliche Figur zunehmend abstrakter behandelt, aus dem narrativen Kontext gelöst und mit allgemeingültiger Aussage dargestellt wie bei Hans von Marées (Kompositionsstudie „Alter Mann und Kinder“) und Käthe Kollwitz („Mutter und Kind“).
Die Ausstellung ist so gegliedert, dass sie die thematischen Schwerpunkte der Zeichenkunst im 19. Jahrhundert widerspiegelt. Die Präsentation bietet die Möglichkeit, Entwicklungen durch das wechselvolle Jahrhundert hindurch zu verfolgen und Brüche nachzuvollziehen. Bei den behandelten Themen und Motiven nehmen die unterschiedlichsten Darstellungen von Landschaft den größten Teil ein, seien es Ideallandschaften wie die von Joseph Anton Koch oder Franz Kobell, Phantasielandschaften von traumähnlichem Charakter wie diejenigen Carl Blechens, topografische Reiseansichten wie die prachtvollen Aquarelle Carl Rottmanns („Santorin“) oder wiederkehrende Motive in Italien wie die „Villa Chigi“ von Ernst Fries, zu denen die große Schar der deutschen Landschaftskünstler pilgerte. Außerdem finden sich ausdrucksstarke Bildnisse etwa von Friedrich Olivier oder Lovis Corinth, religiöse und historische Szenen, beispielsweise auf den Kartons der Nazarener für die berühmten Fresken in der Casa Bartholdy und im Casino Massimo in Rom, sowie – als eine spätere Entwicklung im 19. Jahrhundert – Figurendarstellungen ohne narrativen Kontext etwa von Hans von Marées oder Louis Eysen. Eine eigene Sparte bilden Illustrationen wie die epochemachenden „Faust“- Illustrationen von Peter Cornelius und die Bildergeschichten Wilhelm Buschs.
Im Zuge der wissenschaftlichen Bearbeitung der Zeichnungen durch Dr. Marianne von Manstein wurden die einzelnen Zeichnungen von der Leiterin der Papierrestaurierung Ruth Schmutzler eingehend restauratorisch behandelt. Das Entfernen alter Montierungen machte im Lauf der Ausstellungsvorbereitung Rückseiten wieder sichtbar und ermöglichte so interessante Aufschlüsse über die einzelne Zeichnung, Arbeitsweisen des Künstlers oder den Werkkontext. Neue Erkenntnisse brachten auch alternative naturwissenschaftliche Untersuchungstechniken. In Kooperation mit der Universität Frankfurt wurde ein Infrarotgerät im Städel Museum, welches bisher vornehmlich bei Gemälden Verwendung fand, auch im Bereich der Arbeiten auf Papier eingesetzt. Bei mehreren Zeichnungen wurde erstmals die Technik der Infrarotreflektografie angewendet. Einige Blätter, die durch Überklebungen verdeckte Schichten aufweisen, konnten so mit erstaunlichem Erfolg untersucht werden. Bei der gezeigten Zeichnung Gustav Heinrich Naekes etwa wurde ein unter aufgeklebtem Papier liegender Bereich der Zeichnung sichtbar gemacht. Dadurch ergaben sich Erkenntnisse nicht allein zu konzeptionellen Änderungen an der Komposition, sondern auch zu Naekes gestalterischem Vorgehen. Hier wird sichtbar, wie der Künstler die nazarenische, linear abstrahierende Formensprache schrittweise von einem zunächst naturalistischen Erfassen des Motivs her entwickelt.
Kuratorin: Dr. Marianne von Manstein (Städel Museum)
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt Ausstellungsdauer: 8. März bis 28. Mai 2012 Pressevorbesichtigung: Mittwoch, 7. März 2012, 11 Uhr
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