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SPIEGEL – Der Mensch im Widerschein

«Wie sehe ich aus, was sagt mir mein Gesicht?» Tag für Tag dient uns der Spiegel als Instanz zur Prüfung unseres Aussehens und Empfindens. Er begleitet uns ein Leben lang und wir pflegen mit ihm eine meist innige, mitunter auch selbstvergessene und distanzierte Beziehung. Aber was wissen wir über ihn, über seine Geschichte und seine Verwendung, und was erzählt der Spiegel über uns?
  
Die Ausstellung präsentiert erstmals die Jahrtausende alte Kulturgeschichte des Spiegels umfassend. Ob im alten Ägypten, bei den Maya in Mexiko, in Japan, in Venedig oder in der Kunst und im Spielfilm von heute – Zivilisationen rund um den Globus haben Spiegel hergestellt und ihnen unterschiedliche Bedeutungen und Wirkkräfte zugeschrieben.

Mit 220 Kunstwerken aus 95 Museen und Sammlungen weltweit, werden die wechselvolle handwerkliche und technologische Entwicklung wie auch die kulturelle und gesellschaftliche Tragweite dieses reflektierenden Mediums beleuchtet. Es geht um Spiegel als Artefakte aber auch um Selbsterkenntnis, um Eitelkeit und Weisheit, Schönheit, Mystik und Magie und nicht zuletzt um das Spiegelmedium unserer Zeit – das Selfie.

Auf dem Weg zur Selbsterkenntnis

Neugeborene und Säuglinge interessieren sich schon früh für Gesichter. Das Gesicht der Mutter, der ersten Bezugspersonen, ist für das Kind der «erste Spiegel». Gegenseitig ahmen sie sich nach, spiegeln Gesichtszüge und Emotionen. Kleinkinder interagieren mit ihrem Spiegelbild zuerst wie mit einem «unbekannten» Gegenüber. Erst mit etwa 18 Monaten erkennen sich Kinder selbst im Spiegel. Allmählich entwickelt sich dann auch die Fähigkeit, das eigenen Selbst als Objekt wahrzunehmen und es zu reflektieren. Der griechische Philosoph Sokrates empfahl seinen Schülern, sich im Spiegel anzuschauen, um über Schönheit und Vergänglichkeit nachzudenken und die eigene Seele zu kultivieren.

Die Ausstellung beginnt mit dem antiken Mythos des Narziss'. Die Geschichte des jungen Mannes – der sich in sein Spiegelbild im Wasser verliebt, dann aber erkennt, dass seine Liebe aussichtslos ist und vor Verzweiflung und Auszehrung zu Tode kommt – weckte über Jahrhunderte hinweg die Fantasie kreativer Geister: Der Narziss-Mythos wurde in Literatur, Philosophie, Kunst und Psychologie zu einem Dauerthema, wann immer es um Selbstliebe, Leben und Tod und das Selbstwertgefühl ging.

Selbstporträt und Spiegel

Die Erforschung des eigenen Gesichts im Spiegel und die künstlerische Umsetzung dieses Spiegelbilds in ein Selbstbildnis wurde in Europa seit der Renaissance zu einem eigenen Genre der Kunst. Später erweiterte die Fotografie die Möglichkeiten, sich künstlerisch selbst in Szene zu setzen, sei es durch eine Selbstinszenierung mit Selbstauslöser oder durch Reflexion in einem Spiegel. Die Ausstellung zeigt zum Thema «Selbstporträt» Werke von zwanzig Künstlerinnen und Fotografinnen aus vier Kontinenten – von den 1920er-Jahren bis heute. Die Reihe umfasst Fotografien von Claude Cahun und Florence Henri über Cindy Sherman und Nan Goldin bis zu Amalia Ulman und Zanele Muholi. Die Werke gewähren Einblicke in die Ateliers der Fotografinnen, in ihre künstlerische Praxis, in das Alltagsleben von Familie und Beruf bis hin in die intimen Bereiche des Privatlebens.

Ausschnitte aus Spielfilmen – mit Spiegel-Selbstgesprächen von Männern und auf Spiegel schiessenden Revolverhelden – bilden im Anschluss an die Frauenporträts ein köstliches und zugleich bedenkenswertes Kontrastprogramm.

Und noch etwas: Da die Menschheit heute mit stets griffbereiten Kameras ausgerüstet ist, hat das fotografische Selbstporträt unter dem Namen «Selfie» eine gigantische Dimension und Verbreitung erreicht. Millionenfach finden sich im Netz unter allen möglichen Hashtags auf Armdistanz geschossene Selbstbilder. Sucht man nach «Spiegel und Selfie», so stösst man auf Bilder von Menschen, die am intimsten Ort ihres Privatlebens, dem Badezimmer, sich posieren und diese Bilder unter dem Hashtag #bathroomselfie der Welt offenbaren.

Ein Spaziergang durch die Weltgeschichte des Spiegels 

Die vor über 8000 Jahren gefertigten Spiegel aus Obsidian (einem schwarzen vulkanischen Gesteinsglas), die man in neolithischen Gräbern von Catalhöyük im türkischen Anatolien gefunden hat, gelten heute als die ältesten archäologisch dokumentierten Spiegel der Welt. Die geschliffenen Spiegel wurden den Toten mit ins Grab gelegt, zu welchem Zweck, wissen wir nicht. Im präkolumbischen Amerika wurden neben Obsidian vor allem auch andere spiegelnde Mineralien wie Pyrit und Hämatit zu Spiegeln verarbeitet. Mit dem Aufblühen der Bronzekulturen in Mesopotamien, Ägypten und China verbreiteten sich ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. blank polierte, meist kreisrunde Metallspiegel. Diese dienten nicht nur kultischen Zwecken und als Grabbeigaben, sondern auch zur kosmetischen Pflege des Gesichts.

Mit einem ägyptischen Bronzespiegel aus dem 19. Jahrhundert v. Chr. den, so die Inschrift, ein Vater für seine Tochter «zur Betrachtung des Gesichts» herstellen liess, beginnt in der Ausstellung die Weltreise durch die Geschichte der Spiegel. Sie führt nach Griechenland, Rom, zu den Etruskern, den Kelten, und danach nach Asien, in den Iran, nach Indien, China und Japan. Einzigartige Exponate aus dem Museo Nacional de Antropología in Mexiko City lassen die numinose Macht von Spiegeln bei den Mayas und Azteken erahnen. Künstlerische Darstellungen von badenden und sich frisierenden Frauen, die sich mit Handspiegeln betrachten, sind als Dekor auf Rückseiten griechischer, römischer und etruskischer Spiegel zu finden. Die Ausstellung zeigt hierzu Meisterwerke aus dem Louvre in Paris und dem Metropolitan Museum in New York.






  • 17.05.2019 - 22.09.2019
    Ausstellung »
    Museum Rietberg »

    Feiertage geöffnet:
    1. August 10−20h
    25. Dez. 10−17h (öffentliche Führung findet nicht statt)
    26. Dez. 10−20h
    1. Jan. 10−17h
    2. Jan. 10−20h

    geschlossen:
    24. und 31. Dez.

    Zusätzlich offen Ostermontag und Pfingstmontag, 10−17h Eintrittspreise Sonderausstellungen CHF 18 / 14 (reduziert)

    Sammlung: CHF 14 / 12 (reduziert)



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  • Freizeit eines arbeitenden Mädchens, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909-2001), 1933/34 Silbergelatine Abzug, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Freizeit eines arbeitenden Mädchens, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909-2001), 1933/34 Silbergelatine Abzug, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Museum Rietberg
  • Visual of the exhibition poster © Photography Dan Cermak / Museum Rietberg
    Visual of the exhibition poster © Photography Dan Cermak / Museum Rietberg
    Museum Rietberg
  • Girl in her spare time, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909–2001), 1933/34  Silver gelatine print, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Girl in her spare time, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909–2001), 1933/34 Silver gelatine print, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Museum Rietberg