Tiroler Volkskunstmuseum
REINER SCHIESTL NOTHELFER
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Ausstellung31.03.2017 - 19.11.2017
Reiner Schiestl setzt im Tiroler Volkskunstmuseum über 80 Collagen in Beziehung zu den Heiligenfiguren im Ausstellungsbereich „Pralles Jahr“. Ausgangsmaterial seiner „Nothelfer“ sind Aquarelle. Aus den Fragmenten setzt er überlieferte und neu erfundene Heilige zusammen, die durch Form- und Farbgebung einen stimmigen Zyklus ergeben.
INNSBRUCK. Der Tiroler Künstler Reiner Schiestl beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Nothelfern. Darunter versteht man Heilige, die vor allerlei Gefahren schützen und als Vorbilder dienen können. Die Legenden, die sie umgeben, meist dramatisch und von Folterungen geprägt, dienen dem Künstler als Ausgangspunkt für seine künstlerische Arbeit. Er verbindet Collagen mit begleitenden Erzähltexten, entwickelt so die Geschichten der Nothelfer weiter und erfindet sogar gänzlich neue Heilige. In seiner Ausstellung im Tiroler Volkskunstmuseum setzt Schiestl seine Arbeiten in Beziehung zu den im Museum vorkommenden Heiligenfiguren – in Konfrontation und künstlerischer Koexistenz.
„Reiner Schiestls Nothelfer stellen die Schausammlung des Tiroler Volkskunstmuseum in ein neues Licht. Mit seinen Collagen bietet er den Besucherinnen und Besuchern spannende Anknüpfungspunkte in einem ausgewählten Themenbereich“, betont PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen.
Inspiration auf dem Jakobsweg
Am Beginn der Beschäftigung mit Heiligen und deren Legenden stand für Schiestl der Jakobsweg in Südtirol, den er im Jahr 2012 gemeinsam mit einer Gruppe von St. Jakob im Sand bis ins Schweizerische Müstair beging. Zum Schlüsselerlebnis wurde die Skulptur der St. Apollonia in der gleichnamigen Kirche bei Grissian im Etschtal: Grotesk erschien ihm vor allem der übergroße Mahlzahn eines Tieres in ihrer Hand. Dieses Attribut ist Hinweis, dass die Heilige bei Zahnschmerzen helfen soll. Der Legende nach schlug man Apollonia wegen ihres Glaubens die Zähne aus und drohte ihr mit dem Scheiterhaufen. Allerdings ging sie dann selbst bewusst in die Flammen. Die nach Schiestls Auffassung absurden Details in diversen Heiligenlegenden veranlassten den Künstler zur Auseinandersetzung mit jenen Figuren, die im Katholizismus die Rolle der Vorbilder und Beschützer einnehmen.
Bildcollagen
Für die künstlerische Umsetzung seiner Motive zerschneidet Schiestl alte Landschaftsaquarelle, die er in Innsbruck und im spanischen Medinaceli schuf, und collagiert sie zu neuen Bildern. Rund zwei Jahre lang hat Schiestl an seinem Heiligen-Zyklus gearbeitet und sich dabei u. a. von Heiligenlegenden aus Tirol und Spanien inspirieren lassen. Eine reiche Quelle sind für ihn Patronate und Attribute, die sich aus den Lebensläufen der Heiligen, oft aus ihren grausamen Todesqualen, ableiten. So soll etwa die Anrufung des heiligen Johannes des Täufers, der enthauptet wurde, bei Kopfschmerzen helfen.
Begleitend zu den Collagen entwickelt er auf der Basis von überlieferten Legenden neue begleitende Erzähltexte. Seine Technik interpretiert der Künstler augenzwinkernd als „angewandte Metapher für das Leid“, das Heilige in den Legenden, oft grenzenlos fantastisch erzählt, erfahren müssen. Die Weiterentwicklung von überlieferten Geschichten gipfelt bei Schiestl schließlich in der Kreation von neuen Heiligen und deren Biografien wie zum Beispiel dem heiligen Stuhl, heiligen Strohsack oder heiligen Bimbam. Der Künstler befüllt damit den Heiligenkalender mit einer großen Portion Humor neu. Die Collage ist für ihn nicht nur künstlerische Technik, sie ist auch eine Methode, tradierte Legenden zu zerlegen und erzählerisch neu zusammenzusetzen.
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
Zur Hälfte erfunden, zur Hälfte ergänzt – Schiestl geht es nicht um die geschichtlich korrekte Nacherzählung von bekannten Heiligenlegenden. Im ironischen Verwirrspiel zwischen fiktiven und wirklichen Figuren liegt der Reiz bei Schiestls Heiligenschar. Schiestls Nothelfer übersteigen die gemeinhin bekannte Anzahl der vierzehn: Mit qualvoll leidenden und keck herausfordernden Blicken laden nun insgesamt 87 Bildcollagen im Volkskunstmuseum die BesucherInnen dazu ein, sich deren Geschichten auszumalen.
Heiliger Strohsack
Der heilige Strohsack ist einer von Schiestls erfundenen Nothelfern. Ausgangspunkt der Figur war für den Künstler der Ausruf: „Ach du heiliger Strohsack!“. Er entwickelt daraus den Patron gegen Frost und klirrende Kälte. Schiestl erzählt in der Legende rund um den heiligen Strohsack von einem strengen Winter, in dem sogar die Hasen mitten im Sprung erfroren seien. Erzengel Gabriel habe deshalb einen himmlischen Strohsack ergriffen und ihn auf die Erde gesandt. Das Unterbett sollte die armen Menschen wärmen und sie lehren, wie sie ohne teure Wolldecken überwintern könnten. Unter Schiestls Nothelfern findet sich auch der heilige Georg, der im katholisch geprägten Raum einen hohen Bekanntheitsgrad hat. Der heilige Georg war einst Landespatron von Tirol, bis er 1772 vom heiligen Josef abgelöst wurde. Seit 2006 teilen sich beide Heilige die Aufgabe des Schutzheiligen Tirols. Der Legende nach soll der Märtyrer mit einem Drachen gekämpft und dadurch eine ganze Stadt gerettet haben. Auch Schiestl hat dieses Motiv aufgegriffen und den heiligen Georg – allerdings ohne Ritterrüstung – als Drachentöter dargestellt.
Seine echten und erfundenen Heiligen zeigt Schiestl auf seinen Collagen gemeinsam mit ihren Attributen. Oft lassen sich die Nothelfer erst daran erkennen. Unter den Attributen finden sich neben bekannten, wie z. B. einer Kerze für den heiligen Blasius oder einem Boot für die heilige Ursula, auch außergewöhnliche wie ein Damenbart für die heilige Kümmernis oder ein spätgotischer Schemel mit herzförmigem Griffloch für den heiligen Stuhl.
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31.03.2017 - 19.11.2017
PREIS Eintritt frei
Von Mittwoch bis Montag von 9 – 17 Uhr geöffnet.