Kirchner nach
Kirchner nach 70 Jahren wieder in der Öffentlichkeit
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Presse10.02.2009
Ein Gemälde aus der ehemaligen Sammlung Alfred Hess
Die Provenienz des Meisterwerkes „Drei Akte im Wald" von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahre 1912, das am 27. Mai 2009 bei VAN HAM zur Versteigerung kommt, ist turbulent und geschichtsträchtig (Schätzpreis: € 400.000-600.000). Das Kirchner Gemälde, das unter der Werkverzeichnisnummer 263 im Gordon erfasst ist, galt 70 Jahre als verschollen und konnte nun identifiziert werden. Das vormals aus der berühmten Sammlung Alfred Hess stammende Gemälde wurde vom jetzigen Eigentümer, nach jahrzehntelangem Familienbesitz, zur Auktion eingeliefert. Die Versteigerung ist ein historischer Moment für den deutschen Kunsthandel, über den - laut artnet - in den letzten zehn Jahren lediglich vier Gemälde Ernst Ludwig Kirchners aus der Brückezeit verkauft wurden.
Die Sammlung Alfred Hess
Alfred Hess, 1879 als Kind jüdischer Eltern geboren, gilt noch heute als einer der passioniertesten Sammler Deutscher Expressionisten. Als er im Alter von 52 Jahren starb, hinterließ er eine große und bedeutende Sammlung expressionistischer Kunst, zu denen Werke von Kirchner, Marc, Macke, Heckel uva. gehörten; alle bekannt aus immer wieder kehrenden Ausstellungen von der Künstlergemeinschaft „Die Brücke" bis zum „Blauen Reiter". Sein Engagement für Kunst war so umfassend, dass er den Aufbau der Abteilung Moderne des Museums der Stadt Erfurt, des heutigen Angermuseums, unterstützte. Er erwarb und stiftete regelmäßig Bilder seiner „Schützlinge", um sie in der Öffentlichkeit für jeden frei zugänglich zu machen, bis sie 1937 zum Teil als „entartet" diffamiert und beschlagnahmt wurden.
Alfred Hess verstarb 1931. Seine Kunstsammlung, die zu diesem Zeitpunkt etwa 4.000 Werke umfasste,
vererbte er seinem Sohn Hans Hess, der im Juni 1933 NS-verfolgungsbedingt nach Frankreich emigrierte und seit 1936 im Londoner Exil lebte. Die Sammlung musste in der Obhut der Mutter Thekla Hess verbleiben, die sich um die Rettung der Sammlung und deren angemessene Unterbringung in einem Museum im In- und Ausland bemühte. Unmittelbar nach den Novemberpogromen am 9./10.11.1938 emigrierte Thekla Hess ebenfalls nach England. Den Großteil der Gemälde der Sammlung musste sie im Deutschen Reich zurücklassen.
Die Odyssee
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde durch deren Verfolgungspolitik die Situation der jüdischen Familie Hess in Deutschland zunehmend schwieriger. Aus Angst vor Enteignung wurde ein Teil der Sammlung in die Schweiz transportiert. Zusammen mit anderen Bildern wurde das Gemälde „Drei Akte im Wald" für die Ausstellung „Moderne deutsche Malerei aus Privatbesitz" (7.-29.10.1933) an die Kunsthalle Basel geschickt und gelangte 1934 in das Kunsthaus Zürich.
Da aufgrund der NS-Verfolgung ab 1935 weder Thekla Hess im Deutschen Reich, noch ihr Sohn Hans Hess im Exil über ein ausreichendes Einkommen verfügten, waren sie zur Sicherstellung ihrer Lebensgrundlage gezwungen, Kunstwerke aus der Sammlung zu veräußern. Ein Großteil der Kunstwerke wurde an den Berliner Kunsthändler Thannhauser und den Kölnischen Kunstverein geschickt, dort gelagert oder verkauft.
Andreas Hüneke von der Forschungsstelle „Entartete Kunst" an der FU Berlin führt einen Versand am 4.9.1936 von sieben Gemälden und einem Aquarell von Zürich an den Kölner Kunstverein auf, der sich bereit erklärt hatte, die Werke kostenlos zu lagern. Unter den Bildern war - gemeinsam mit der „Berliner Straßenszene" - auch das vorliegende Gemälde.
Was mit den, dem Kölnischen Kunstverein übersendeten Gemälden anschließend geschah sowie deren Verbleib, ist weitgehend ungeklärt. Lediglich sechs Gemälde wurden der Familie Hess vom Kölnischen Kunstverein 1951 zurückgegeben. Wahrscheinlich wurden die „Drei Akte im Wald" - genau wie die „Berliner Straßenszene" und andere Werke - zwischen 1936 und 1945 durch den Kölnischen Kunstverein zum Kauf angeboten. In diesem Zeitraum wurde es von einem Kölner Sammler erworben und in der Folge bis zum heutigen Besitzer weitervererbt.
Parallelen zu Kirchners „Berliner Straßenszene" aus dem Brücke Museum Berlin
Sowohl die „Berliner Straßenszene" als auch unsere „Drei Akte im Walde" haben bis 1936 eine ähnliche Provenienz. Beide Bilder sind schließlich im Kölner Kunstverein angelangt und haben von dort aus unterschiedliche Wege genommen.
Die Rückgabe der „Berliner Straßenszene" aus der Sammlung Hess hatte wegen deren NS-verfolgungsbedingten Verlustes besondere mediale Aufmerksamkeit erregt. 2006 wurde das Werk, das im Brücke Museum hing, an die Hess Erben zurückgegeben und anschließend in New York für rund 38 Mio. Dollar versteigert.
„Drei Akte im Wald" - Ein Restitutionsfall?
VAN HAM Kunstauktionen hat sich unmittelbar nach der zweifelsfreien Zuordnung des Gemäldes an die Erben der Familie Hess gewandt, um erstens mögliche Besitzansprüche zu klären und zweitens auch in der Hoffnung über die recherchierten Erkenntnisse hinaus weitere Details zur wechselvollen Geschichte des Gemäldes zu erfahren. Veräußerer und die Erbengemeinschaft der Eigentümerfamilie Hess haben sich hinsichtlich eventuell bestehender Restitutionsansprüche geeinigt. Seitens der Familie Hess werden keinerlei Ansprüche hinsichtlich dieses Werkes geltend gemacht.
VAN HAM hat den Kirchner-Kenner Prof. Dr. Dr. Gerd Presler für eine ausführliche wissenschaftliche Besprechung des Gemäldes gewonnen. Der Aufsatz wird im Frühjahr 2009 innerhalb des Auktions-Katalogs „Moderne und Zeitgenössische Kunst" erscheinen.