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Verlorene Moderne. Der Berliner Skulpturenfund

Hamburg

Im April 2012 sind die sechzehn verschollen geglaubten expressionistischen Skulpturen, die 2010 bei einem spektakulären Fund im Zuge archäologischer Grabungen vor dem „Roten Rathaus“ in Berlin geborgen wurden, erstmals in Hamburg zu sehen. Fünf dieser wiedergefundenen Skulpturen stammen aus dem MKG: eine „Weibliche Büste“ (vor 1931) von Naum Slutzky, eine „Stehende Gewandfigur“ (1925) sowie „Stehender weiblicher Akt“ (o.J.) von Gustav H. Wolff, eine „Figur“ von Richard Haizmann sowie ein „Kopf“ (1925) von Otto Freundlich. Sie kehren nach 75 Jahren zum ersten Mal wieder an ihren ursprünglichen Ausstellungsort zurück. Diese Werke bedeutender Künstler und Bildhauer der Klassischen Moderne wurden 1937 in deutschen Museen beschlagnahmt und im Rahmen der Ausstellung „Entartete Kunst“ unter den Nationalsozialisten als „artfremd“ diffamiert. Das macht die sechzehn Skulpturen zu einmaligen Zeugen der deutschen Geschichte. Die Arbeiten von Otto Baum, Karl Ehlers, Otto Freundlich, Richard Haizmann, Karl Knappe, Marg Moll, Karel Niestrath, Emy Roeder, Edwin Scharff, Naum Slutzky und Gustav Heinrich Wolff waren zum ersten Mal im Neuen Museum in Berlin in der Ausstellung „Der Berliner Skulpturenfund. Entartete Kunst im Bomben-schutt“ zu sehen. Das MKG bettet die Funde unter dem Titel „Die Verlorene Moderne. Der Berliner Skulpturenfund“ in den historischen Kontext des Museums ein und beleuchtet die mutige und polarisierende Sammlungspolitik Max Sauerlandts. Er war ein großer Förderer zeitgenössischer Kunst und erwarb als erster Museumsdirektor expressionisti-sche Skulpturen. Zusammen mit über 100 anderen Exponaten wie Skulpturen, Grafiken, Schmuck, Ausstellungsplakate, Wandtextilien und Zeitdokumenten wie Fotografien, Briefen, Akten und Inventarlisten erzählen sie von der avancierten Sammlungspolitik des MKG in den 1920er Jahren und der spannenden Recherche nach der Herkunft und dem Verbleib der Werke. Die Hamburger Ausstellung wird ergänzt durch Leihgaben aus dem Nachlass von Max Sauerlandt.

„Entartete Kunst“ im MKG – Die Themen der Ausstellung

Seit 2010 betreibt das MKG als eines der ersten Kunstgewerbemuseen aktiv Provenienzforschung zu ausgewählten Konvoluten seiner Sammlungsbestände. Darüber hinaus greift das MKG immer wieder Themen aus der Zeit des Nationalsozialismus auf. Zuletzt beleuchtete eine große Ausstellung 2009 das Leben und Wirken der in Hamburg tätigen jüdischen Kunsthistorikerin Rosa Schapire. Im Zusammenhang mit dem Berliner Skulpturenfund beschäftigt sich das MKG mit der Frage nach den konkreten Auswirkungen und Konsequenzen der Aktion „Entartete Kunst“ durch die Nationalsozialisten für das Haus und die Sammlung. Über 210 Kunstwerke wurden 1937 beschlagnahmt. Welche Künstler und welche Werke von den Kommissaren als entartet bewertet wurden, darüber gibt in der Ausstellung eine Inventar-Akte aus dem Archiv ersten Aufschluss. Sie enthält teils ausführliche Objektbeschreibungen und den Vermerk „entartet“ bei jedem Kunstwerk. Neben den Künstlern, deren Skulpturen in Berlin wiederentdeckt wurden, finden sich auf dem Index bekannte Namen wie Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Emil Nolde, Otto Dix, Moissey Kogan, aber auch damals noch unbekanntere Künstler, die speziell von Max Sauerlandt gefördert wurden, darunter Rudolf Nesch oder Karl Ballmer.

Max Sauerlandt, seit 1919 Direktor des MKG, wurde bereits unmittelbar nach Regierungsantritt der NSDAP 1933 von seinem Posten beurlaubt. Seine Leidenschaft für die expressionistische Kunst war ihm zum Verhängnis geworden. Seine Mission lautete, sich für die moderne Kunst einzusetzen: „ … wir müssen Zeitgenössisches sammeln.“ Denn nur „ … durch die Präsentationen der Gegenwartskunst im Museum erreichen diese die lebensnotwendige Aktualität, die Voraussetzung lebendiger, geistiger Gesellschaft ist.“ 1930 ließ Sauerlandt das Haupttreppenhaus im MKG eigens vom Hamburger Architekten Karl Schneider umgestalten. Davon zeugen historische Aufnahmen der Skulpturen im Treppenhaus und der damaligen Ausstellungsräume. Die Besucher sollten bereits beim Betreten des Museums auf seine programmatische Auswahl moderner Kunst, darunter Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff, aufmerksam werden. Vor allem die konservative Kritik empfand diese Präsentation als Provokation. Auch mit seinen öffentlichen Reden, in denen sich Sauerlandt vehement für die moderne Kunst einsetzte, wie etwa in der legendären Rede vor dem Deutschen Museumsbund (1929), machte er sich zur Zielschreibe reaktionärer Ressentiments. Mit seiner Beurlaubung fand das Kapitel einer äußerst engagierten und zugleich äußerst anfechtbaren Sammlungspolitik am MKG ein jähes Ende. Anhand von Zitaten zeichnet die Ausstellung die kontroverse Diskussion über Sauerlandts polarisierende Ankaufsstrategie nach und stellt die Frage, was er unter „zeitgenössischer“ Kunst verstand.








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  • Naum Slutzky, „Weibliche Büste“, vor 1931 – Zustand nach Reinigung, Oktober 2010, Bronze, Höhe: 15,5 cm Foto: Achim Kleuker
    Naum Slutzky, „Weibliche Büste“, vor 1931 – Zustand nach Reinigung, Oktober 2010, Bronze, Höhe: 15,5 cm Foto: Achim Kleuker
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg