Die Kunst der
Die Kunst der Interpretation
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Ausstellung06.03.2009 - 14.06.2009
Um 1500 jedoch machte sich Stagnation bemerkbar. Das hatte Gründe: Die Technik dieser beiden Meister war nicht aus den Gesetzmäßigkeiten der Kupferplatte geschaffen, sondern den Liniensystemen der Federzeichnung entlehnt worden. Die nur begrenzte künstlerische Belastbarkeit dieses nicht aus dem Material Kupfer selbst gewonnenen Vokabulars wurde von allen führenden Stechern erkannt. Sie bemühten sich nun, ein aus der Kupferplatte selbst abgeleitetes Liniensystem an dessen Stelle zu setzen und suchten deshalb - wie in der Ausstellung an markanten Stichen zu sehen - durch Kopieren die Auseinandersetzung mit Dürer. Raimondi war es, der den Kupferstich aus der Dominanz der von Pollaiuolo und Mantegna geformten Liniensysteme löste. Raimondi, mit einer Suite zentraler Werke nach Dürer, Michelangelo und Raffael in der Ausstellung vertreten, hatte sich nie eng an Mantegna gebunden. Vielleicht auch deshalb war kein anderer Stecher in seiner Auseinandersetzung mit Dürer so reibungslos analytisch, in seiner Suche nach Linienstrukturen so innovativ und erfolgreich wie er. An Stichen wie Apoll und Hyacinth sowie dem Apoll von Belvedere unterstreicht die Ausstellung Raimondis Begabung zur Konzeptuierung eigener Bilderfindungen wie auch sein überragendes Können, mit unterschiedlichsten Liniensystemen zu experimentieren.
Raimondis besondere Begabungen bilden die Grundlage seiner Zusammenarbeit mit Raffael, die einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung setzt. Diese erste langfristige Verbindung von Künstler und Stecher legt die Grundlagen für viele der zukünftigen Zusammenschlüsse. In völliger Umkehrung der Arbeitsweise späterer Künstler war Raffael jedoch an der graphischen Umsetzung seiner Gemälde und Fresken, zu denen er Raimondi leicht Zugang hätte verschaffen können, uninteressiert. Raffael bleibt vielmehr der erste und einzige Künstler, der neben einer Handvoll modelli konsequent die aus dem Werkprozeß ausgeschiedenen Entwürfe zur Interpretation und Verbreitung im Kupferstich weitergab (Abb. 4). Bei der Umsetzung solcher Skizzen kultivierten Raimondi und Raffael eine dialogische Struktur, die es Raimondi ermöglichte, mit interpretatorischen Freiräumen zu arbeiten. In der Geschichte der Reproduktionsgraphik bleibt diese Struktur einzigartig. Sie erklärt auch die glücklose Verbindung von Raimondi mit Bandinelli; diese scheiterte an den unterschiedlichen Ansprüchen, die Raimondi und der künstlerisch engste Gefolgschaft fordernde Bandinelli an den interpretierenden Kupferstich stellten.
Text: Hans Jakob Meier
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