Der Meister vo
Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden
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Ausstellung21.11.2008 - 22.02.2009
Während es sich bei dem weltberühmten Brüssler Stadtmaler Rogier van der Weyden (1399/1400-1464) um eine in den zeitgenössischen Quellen klar fassbare historische Persönlichkeit handelt, ist die Sachlage beim Meister von Flémalle komplizierter. Denn bei ihm haben wir es mit einem artifiziellen Geschöpf der Stilkritik zu tun, das nur bedingt mit einer historischen Gestalt zu verbinden ist. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts befinden sich drei eindrucksvolle Tafelbilder im Städel Museum, die dem Meister von Flémalle seinen Namen gegeben haben, glaubte man damals doch irrtümlicherweise, sie stammten aus dem bei Lüttich im Maastal gelegenen Ort Flémalle: die ihr Kind stillende Madonna, die das Schweißtuch Christi präsentierende heilige Veronika und schließlich der „Gnadenstuhl", eine Darstellung Gottvaters, der seinen toten Sohn im Arm hält, und der Taube des Heiligen Geistes. Diese Tafelbilder, einst Flügel eines ansonsten untergegangenen monumentalen Altarretabels, gehören neben dem etwa gleichzeitig entstandenen Genter Altar der Brüder Van Eyck zu den bedeutendsten Werken der frühniederländischen Malerei. Um die Frankfurter Gemälde und den nach seinen früheren Besitzern benannten „Mérode-Altar" - heute eines der Hauptwerke des Metropolitan Museum of Art in New York und gleichfalls in der Ausstellung zu sehen - wurde kurz vor 1900 allein auf Grundlage stilistischer Vergleiche das „Werk" des Meisters von Flémalle gruppiert.
Nur wenig später, zu Anfang des 20. Jahrhunderts, gelang die sichere Identifizierung von vier Gemälden, die sich unverkennbar an Werken des Meisters von Flémalle orientieren, ohne jedoch dessen künstlerische Qualität zu erreichen: vier Flügelbilder eines Marienaltars, die zwischen 1433 und 1435 von dem aus Tournai stammenden Malers Jacques Daret (um 1401 - nach 1468) für die Abtei St. Vaast in Arras geschaffen wurden und die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Da ihr Schöpfer, Jacques Daret, nachweislich bei dem gleichfalls in Tournai tätigen Künstler Robert Campin (um 1375- 1444/45) gelernt hatte und zudem, zusammen mit Rogier van der Weyden, von 1427 bis 1432 in seiner Werkstatt tätig gewesen war, lag angesichts der Abhängigkeit seiner Bilder von Werken des Flémallers der Schluss nahe, dass es sich beim Meister von Flémalle um niemand anderen als um Robert Campin handelt.
Doch diese heute weithin akzeptierte Gleichsetzung des Meisters von Flémalle mit Robert Campin wirft erhebliche Probleme auf: Denn während Rogier van der Weyden bereits zu Lebzeiten eine Berühmtheit war und sein Nachruhm nie verblasste, war Robert Campin den zeitgenössischen Quellen zufolge ein in Tournai angesehener Künstler, dessen Reputation kaum über seine Heimatstadt hinausging und dessen Name bald nach seinem Tod in vollkommene Vergessenheit geriet, aus der ihn erst die Archivforschung des 19. Jahrhunderts befreite. Dies steht in irritierendem Kontrast zur Berühmtheit jener Werke, die dieser Künstler angeblich geschaffen haben sollte. Aber entscheidender noch: Robert Campin wurde bereits um 1375 geboren und muss daher seine künstlerische Prägung während seiner Lehrzeit schon vor der Wende zum 15. Jahrhundert erhalten haben. Doch die epochemachenden Werke, die ihm bei seiner Gleichsetzung mit dem Meister von Flémalle zugeschrieben werden müssten, sind erst um 1430 entstanden und zeigen keinerlei Anklänge mehr an die Kunst um 1400. Wenn Campin der Flémaller gewesen sein sollte, müsste er mit etwa 55 Jahren - nach damaligen Verhältnissen also als alter Mann - die künstlerische Revolution in den Niederlanden mit angestoßen haben.
Da erscheint es sehr viel plausibler, in Robert Campin einen höchst erfolgreichen Künstlerunternehmer zu sehen, der es geschickt verstand, die Erfahrungen und das Können jüngerer Künstler, darunter von niemand Geringerem als Rogier van der Weyden, auf Zeit in seinen Werkstattbetrieb einzubinden. Als Werkstattleiter organisierte und koordinierte Campin die Großaufträge, doch ihre Ausführung scheint er weitgehend an seine Mitarbeiter delegiert zu haben. Wesentliche Impulse für das grundlegend Neue im Schaffen der Campin-Werkstatt scheinen also erst mit dem Eintritt Rogiers im Jahre 1427 gegeben worden zu sein, und gerade im Falle der namengebenden Flémaller Tafeln ist mit einem ganz entscheidenden Anteil Rogiers an deren künstlerischer Konzeption und Ausführung zu rechnen.
Robert Campins eigene Hand wird man am ehesten in stilistisch altertümlicheren, noch der Kunst der Jahrhundertwende verpflichteten Werken wie etwa der Verkündigung aus Brüssel oder der Madonna vor der Rasenbank aus Berlin sehen können, die beide in der Ausstellung zu sehen sind. Gerade der Vergleich der Brüssler Verkündigung mit der nach ihrem Vorbild geschaffenen, jedoch zugleich stilistisch und maltechnisch „modernisierten" Mérode-Verkündigung kann den Generationsunterschied zwischen Campin und seinen jüngeren, avancierteren Mitarbeitern verdeutlichen. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass das Werk des Meisters von Flémalle alles andere als homogen und der Flémaller eben keine identifizierbare Einzelperson ist, die - wie sonst meist üblich - eins zu eins mit Robert Campin gleichgesetzt werden kann.