Christus an Rh
Christus an Rhein und Ruhr
-
Ausstellung29.05.2009 - 13.09.2009
die Ausstellung erinnert an ein Jahrhundertphänomen, das allzu lange im Verborgenen blieb. Der Kölner Künstler Franz W. Seiwert motivierte mit seinem vor 1925 entstandenen, undatierten Glasbild „Christus im Ruhrgebiet" zum Titel der Ausstellung. Christus durfte nicht länger in der süß-kitschigen Stilisierung einer weltfernen, zeitlosen Bildwelt und kommerzialisierten Andachtskultur verkommen. Hier und Jetzt, angesichts der Entfremdungserfahrungen der Moderne, besann man sich auf die Wirkmacht und spirituelle Kraft Jesu und reaktivierte eine verschüttete kulturelle Erinnerung. Christus erschien, wie in seiner Zeit, als der Leidende und als Retter zugleich. Dies galt vor allem nach der Erschütterung, die der Erste Weltkrieg bedeutet hatte. In der urbanen Kultur des Rheinlandes verdichtete sich der messianische Geist, der bis weit in die zwanziger und frühen dreißiger Jahre Künstler und Schriftsteller zu innovativem Schaffen anregte. Philosophie und Theologie, Architektur, Kunstgewerbe und Musik zehrten vom neuen Christusbild. Es bedeutete immer mehr als eine Erweiterung des künstlerischen Themenkanons:
Mit dem 20. Jahrhundert beginnt die Suche nach dem „neuen Menschen". Künstler und Schriftsteller wandten ihren bürgerlichen Welten den Rücken zu und schlossen sich in neuen Gemeinschaften zusammen, um die Fragen einer neuen Kunst zu erörtern und sich selbst neu zu definieren, abseits der schöngeistigen und im Historismus schwelgenden Formkunst des 19. Jahrhunderts. In der Großstadt stieß man auf Jesus Christus. Schon in der naturalistischen Bildwelt begegnet er als Opfer der industriellen Arbeitswelt, aber auch als Sozialrevolutionär. Hieran konnten die Expressionisten anknüpfen.
In den Wirren der Zeit zwischen Urkatastrophe und Ich-Verlust standen auch die Künstler und Schriftsteller an Rhein und Ruhr sich fremd gegenüber, sahen dem Anderen ins Antlitz und suchten nach neuer Spiritualität jenseits des Verlustes an Menschenwürde. Es war der Anachronist Jesus Christus, dessen Prinzip der Nächstenliebe einen Weg jenseits des Mordens und Verurteilens anbot, der seinen Schmerz nicht versteckte, sondern sein Antlitz zeigte und litt.
Wohin sollte man sich wenden, wenn die Welt der Väter untergegangen war und die Söhne gnadenlos mit sich riss? Wer noch war, war entfremdet. Man wandte sich an Jesus Christus. Die Parallelen lagen auf der Hand: Auch er war ein junger Mensch, und auch er teilte die Erfahrung eines mächtigen Vaters. Er hatte gelitten und er liebte dennoch.
Ecce Homo - die „Veronika" Will Küppers hält das Schweißtuch hoch - Seht, ein Mensch! Heinrich Hoerle malt das Antlitz Christi und zerlegt es in kubistische Formen: Hier ist der neue Mensch! Die Kölner Künstlerzeitschrift Ventilator ruft provokant eine „Warnung!" aus: „Laßt Euch auf keinen Handel mit dem Herzen ein. Verbarrikadiert Eure Gefühle. Haltet euch am Besitz - euer gefährlichster Feind ist der Geist! [...] Epidemien greifen um sich! Christus ist auf der Welt. Der Kommunist Christus."
Heinrich Campendonk malt den „Grünen Christus" am Kreuz, grün nicht als Farbe, sondern als Verb, als Seinszustand. Der Christus des 20. Jahrhundert ist grün - er ist jung und er grünt - er lebt und er kommt. Er wird und muss der ganz Andere sein! Wilhelm Lehmbrucks Entwurf für den Ehrenfriedhof auf dem Kaiserberg in Duisburg manifestiert nicht den heroischen Körper, hier begegnet kein Krieger, schwertumgürtet. Er ist der „Gestürzte". Zu schwach, um aufzustehen, scheint er im Kriechen innegehalten. Er weint. Auf allen Vieren schockiert er den Betrachter in seiner Verletzlichkeit, appelliert, man müsse ihm helfen. Lehmbrucks Gestürzter markiert eine Grenze: Hier geht es nicht mehr weiter. Der Mensch hat die Tiefe seiner Existenz erreicht, wie Christus im Leiden an die Grenze der Erniedrigung gelangt ist. Wie er zugleich zum Symbol neuer Menschlichkeit wurde, konnte und musste auch diese Generation der Erniedrigten zu neuem Leben und zu neuem Empfinden vorstoßen.
Jesus wird zum Symbol der Liebe zum Menschen, auch der körperlichen Liebe - Die Menschen unterm Kreuz sind bei Lehmbruck nackt, Emil Zuppkes „Ehe" zeigt zwei Akte am Kreuz und verbindet so das Motiv des Schmerzes mit der Wiedergeburt, denn Nacktheit bedeutet zugleich Geburt, Neuanfang. Hier begegnet das Utopische als Gegenstück zum Apokalyptischen. Beide haben diese Zeit geprägt.
Die Ausstellung zeigt Malerei und Graphik, Plastik und Keramik, Literatur und Bühnenbilder u. a. von Herm Dienz, Otto Freundlich, Heinrich Hoerle, Franz W. Jansen, Will Küpper, Else Lasker-Schüler, Wilhelm Lehmbruck, August Macke, Marie von Malachowski-Nauen, Carlo Mense, Heinrich Nauen, Walter Ophey, Otto Pankok, Lotte B. Prechner, Franz W. Seiwert; Adalbert Trillhaase, Egon Wilden, Emil Zuppke; ferner literarische Arbeiten u. a. Carl Einstein, Kurt Heynicke, Hannes Küpper, Karl Röttger, Karl Gabriel Pfeill, Paul Zech, Carl Zuckmayer.
.
Sie spiegeln die Dominanz des Themas in unterschiedlichen Facetten: