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Böse Dinge

Museen für Kunst und Gewerbe

Böse Dinge

Was ist Geschmack? Wer bestimmt, was gut oder schlecht, schön oder hässlich ist? Unternehmen geben Milliarden aus, um herauszufinden, welches Produkt den Nerv der Zeit trifft. Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Suche, welche Areale im Gehirn für die Geschmacksbildung verantwortlich sind. Und wir? Wir diskutieren über Geschmack, obwohl sich darüber bekanntlich nicht streiten lässt. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) greift in einem Ausstellungsprojekt den Diskurs um „guten“ und „schlechten“ Geschmack auf und stellt historische und aktuelle Positionen gegeneinander. Über eine Tauschbörse werden die Besucher außerdem eingeladen, sich an der Geschmacksdebatte aktiv zu beteiligen. Ausgangspunkt ist die Ausstellung „Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks“, entwickelt vom Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, die nun im MKG zu sehen ist. Das Konzept basiert auf der Publikation „Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe“ des Kunsthistorikers Gustav E. Pazaurek von 1912. Darin entwickelt er einen komplexen Kriterienkatalog, der auch die Grundlage für seine „Abteilung der Geschmacksverirrungen“ im Stuttgarter Landesmuseum ist. Pazaurek war Mitglied des 1907 gegründeten Deutschen Werkbunds, der die bis heute aktuelle Debatte um die „Gute Form“ im Design auslöst. Die Ausstellung „Böse Dinge“ präsentiert etwa 60 Objekte aus dem ehemaligen Pazaurek‘schen „Schreckenskabinett“ und konfrontiert diese mit aktuellen Designobjekten. Dabei wird Pazaurek’s Systematik auf ihre heutige Gültigkeit überprüft. Gleichzeitig werden neue Kategorien entworfen, die aus aktueller Sicht Dinge als „gut“ und böse“ charakterisieren könnten. Parallel zeigt das MKG das Projekt „Name That Thing“ der Muthesius-Kunsthochschule Kiel. Studierende beschäftigen sich in Objekten, Projektionen, Installationen, Fotografien und Texten mit dem Thema der Kitschkunst und nehmen dabei auch das Museum als geschmacksbildende Instanz ins Visier.

Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks
1909 eröffnet Gustav E. Pazaurek im Stuttgarter Landesmuseum eine „Abteilung der Geschmacksverirrung“ mit dem Ziel, Menschen zum „guten Geschmack“ zu erziehen. Diese Schausammlung enthält ausnahmslos abschreckende Beispiele kunsthandwerklicher Erzeugnisse, die den „schlechten“ Geschmack am Gegenstand entlarven sollen. Für die Ausstellung und in seiner Publikation „Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe“ entwickelt Pazaurek eine umfangreiche Systematik zur Klassifizierung der Dinge. Dabei greift er zu drastischen Begriffen wie „Dekorbrutalitäten“, „Materialvergewaltigung“ oder „funktionelle Lügen“. Worin aber liegt das Böse eines Objekts? Für Pazaurek vor allem in der äußeren Erscheinung, der Materialität und Konstruktion des Gegenstands. Er ist der Ansicht, dass Dinge einen starken Einfluss auf den Menschen haben und in der Lage sind, ihn in seinem Sein zu verändern. Pazaurek folgt damit der Auffassung des Deutschen Werkbunds, der zu Folge ein entsprechendes Wohnumfeld nicht nur die Lebensqualität, sondern auch den Menschen „bessern“ und ihn zu einem verantwortlich denkenden Mitglied der Gemeinschaft erziehen soll. Die Geschmacksbildung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch am Bauhaus und in der Reformbewegung Anhänger findet, richtet sich gegen die Prunksucht und die Dekorationswut der Gründerzeit, die als verlogen und

oberflächlich wahrgenommen wird. Pazaureks „Geschmacksbibel“ kann in diesem Kontext auch als ein Anti-Warenbuch verstanden werden. Die Vorgaben des Deutschen Werkbunds, denen sich Architekten, Gestalter und Wissenschaftler verschrieben haben, strahlen bis weit in die 1960er Jahre. Die Anwendung der historischen Kriterien auf die zeitgenössischen Produkte bietet viel Stoff für Diskussionen. Zum einen würde der Sinn eines solchen Kanons heute wohl in Frage gestellt, zum anderen würden wir, wenn schon nach Kriterien gefragt, ganz andere für relevant halten, wie etwa Nachhaltigkeit, Fair Trade, Artenschutz etc.

Name That Thing
Was ist Kitsch, was ist guter Geschmack? Wer legt die Maßstäbe fest? Seit dem Zeitalter der Postmoderne ist der Glaube an die universelle Schönheit, an den ästhetischen Fortschritt hinfällig geworden. Kitschkunst spielt mit vielen Tabus des Bildungsbürgertums, mit der Leere von Klischees. Sie sprengt den traditionellen Kunstbegriff, wertet Alltagsgegenstände durch eine neue Kontextualisierung auf. Und längst gilt so mancher Kitsch als Kult. Aber befriedigt Kitsch nicht auch ein menschliches Bedürfnis? Welche Rolle spielen dabei die Museen, ihre Sammlungen? Was wird gezeigt, was bleibt verborgen in den Depots? Gleich kulturellen Archäologen haben sich die Studenten der Medienklasse von Prof. Arnold Dreyblatt an der Muthesisus Kunsthochschule Kiel in dem Projekt „Name That Thing“ mit diesem komplexen Thema auseinandergesetzt. In verschiedenen medialen Inszenierungen werden Objekte aus der Sammlung des MKG in neuen Zusammenhängen präsentiert und erfahren dadurch eine völlig neue Sichtbarkeit und Deutung. Thematisch spannt sich der Bogen von der sentimentalen Naturidylle und deren Tierwelt über die Erotik und Volksmusik bis hin zur Frage, ob sich über Geschmack überhaupt diskutieren lässt.






  • 16.05.2013 - 15.09.2013
    Ausstellung »

    Öffnungszeiten: Di –So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
    Eintrittspreise: 10 € / 7 €, Do ab 17 Uhr 7 €, bis 17 Jahre frei



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  • Abb.: mit Schmucksteinen verziertes Handy, Entwurf: Moeko Ishida, Deco Loco, 2009; Mobiltelefon-Halter, Agora Gifthouse AB, Schweden, 2009; USB-Stick in Form eines Fingers, China; Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Abb.: mit Schmucksteinen verziertes Handy, Entwurf: Moeko Ishida, Deco Loco, 2009; Mobiltelefon-Halter, Agora Gifthouse AB, Schweden, 2009; USB-Stick in Form eines Fingers, China; Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Zitronenpresse Juicy Salif, Entwurf Philippe Starck 1990, Alessi, Italien, Kategorie: Unzweckmäßigkeiten, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Zitronenpresse Juicy Salif, Entwurf Philippe Starck 1990, Alessi, Italien, Kategorie: Unzweckmäßigkeiten, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Salz- und Pfefferstreuer in Form einer Frau, 2009, Kategorie: Konstruktionsattrappe oder Weithergeholte Phantasiegestaltung, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Salz- und Pfefferstreuer in Form einer Frau, 2009, Kategorie: Konstruktionsattrappe oder Weithergeholte Phantasiegestaltung, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • »Der Schrei« als Schlüsselanhänger, nach Edvard Munch „Der Schrei“, Robert Fishbone, On The Wall Productions, Inc.USA, 1991, Kategorie: Relieftranspositionen, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    »Der Schrei« als Schlüsselanhänger, nach Edvard Munch „Der Schrei“, Robert Fishbone, On The Wall Productions, Inc.USA, 1991, Kategorie: Relieftranspositionen, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Obama-Kindersneakers, Entwurf 2008, Keds, USA, 2009, Kategorie: Hurrakitsch, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Obama-Kindersneakers, Entwurf 2008, Keds, USA, 2009, Kategorie: Hurrakitsch, Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin, Foto: Armin Herrmann
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg