Katharina Sabernig. Gestrickte Anatomie
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Ausstellung25.04.2022 - 03.07.2022
Mit Garn und Nadel auf den Spuren der Geheimnisse des Körpers
Katharina Sabernig ist Ärztin und Anthropologin und hat sich mit anatomischen Illustrationen, visualisierter Medizin und tibetischer medizinischer Terminologie beschäftigt. Inspiriert von der Vielfalt der anatomischen Darstellungen und den ethischen Fragen, die mit dieser Kunst verbunden sind, begann sie 2015 mit dem Stricken anatomischer Objekte. In ihrem aktuellen Projekt stellt sie die Topografie der inneren Organe und deren Gefäßversorgung dar, wobei sie sich an den Maßen eines erwachsenen Menschen orientiert.
Mit Katharina Sabernig zeigt die Neue Galerie Graz im studio eine Medizinerin und Anthropologin, die sich dem Kontext Anatomie auf besondere Weise nähert. Ohne eine künstlerische Ausbildung absolviert zu haben, beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Darstellung und den kulturellen Hintergründen der Anatomie. Um den „viszeralen Ekel“ bzw. den Schock beim Anblick des geöffneten Körpers zu überwinden und damit den Blick auf die Organe, Gefäße etc. sowie deren Funktionsweisen zu öffnen, begann Sabernig zu stricken. Stricken, mit Weben und Knüpfen eine der ältesten Kulturtechniken, scheint auf vielfache Weise geeignet zu sein, Widerstände, Ekel und Angst zu überwinden. Als haptische Tätigkeit, die eine ständige Nähe und die permanente Berührung mit dem weichen Material der Wolle erzeugt, ist Stricken nicht nur Handwerk zur Existenzsicherung und gleichzeitig Freizeitbeschäftigung. Es kann durch die Farbigkeit der erzeugten Objekte auch die Schematisierung, wie sie in den anatomischen Bildatlanten zu finden ist, evozieren. Handwerk, Geschick im Umgang mit dem Material, Tätigkeit als meditativer Akt – all das findet sich im Stricken im Übermaß.
Tibetische Einflüsse
Grundsätzlich wird die Bedeutung des Handwerks innerhalb der Kunst als Bestandteil materieller Kultur, kultureller Identität und Gemeinschaft gegenwärtig vielfach diskutiert. Neue ökonomische Effekte gehen damit genauso einher wie der durch die Globalisierung erweiterte Blick. Die Perspektive auf das „Andere“ oder das „Fremde“ bringt wesentliche Impulse mit sich und erzeugt neue Schnittmengen. Katharina Sabernig hat sich von der Kultur Tibets, die von ganz anderen Vorstellungen der anatomischen Darstellung ausgeht als der Westen, indirekt beeinflussen lassen. Sie hat als Wissenschaftlerin die tibetischen Ideen zur Menschen- bzw. zur Anatomiedarstellung erforscht, interpretiert und übersetzt. So konnte sie sich grundsätzlich mit der Vielfalt von Darstellungsweisen beschäftigen, die heute ausschließlich im rationalen Bereich zu liegen und der medizinischen Funktionslogik zu folgen scheinen. Wohl aber blieben dabei die Bereiche des Mythischen und Kultischen nicht verborgen, die sich über die tibetische Visualität ergeben haben. Wenn man sich dort die Anatomie in Form eines Baumes vorstellt, kann man das Strickobjekt auch als spezielle Form der Bildlichkeit mit kulturellem Hintergrund interpretieren. Eine gewisse Poesie ist in beiden vorhanden, sie scheint sich sogar in der Zusammensicht sehr poetisch zu manifestieren.
Dass sich Katharina Sabernig in Zeiten der Pandemie plötzlich in einer verstärkten medialen Öffentlichkeit wiederfindet – ihre Objekte wurden in der letzten Zeit in unterschiedlichen Zeitschriften und Zeitungen, nicht nur in Österreich, publiziert – liegt wohl an unserem Bedürfnis, uns einen Vorgang zu veranschaulichen, von dem wir alle plötzlich direkt betroffen sind. Das Corona-Virus, seine Beschaffenheit und Wirkungsweise waren in den letzten beiden Jahren vermehrt Thema in allen Medien. Wie sieht das Virus aus, wie bewegt es sich, was verändert sich bei einer Ansteckung im Körper und welche Details sind dafür verantwortlich? Das wurde in unterschiedlichen Grafiken, Animationen und Modellen versucht begreifbar zu machen. Farben und Kontraste, die Veränderung von Größen und Proportionen – all das ermöglicht Sichtbarkeiten. Sabernig widmet sich aber nicht nur den so populär gewordenen Corona-Varianten, sie zeigt etwa auch die Veränderungen und Entwicklungen, die beispielsweise bei Prostata- oder Gebärmutterhalskrebs entstehen. Für jede*n von uns tragische Szenarien werden dadurch nicht verharmlost, sondern besser begreifbar gemacht. Die Wirksamkeit der Krankheit, ihre Präsenz und der zeitliche Prozess ihrer Veränderung werden auf diese Weise unmittelbar anschaulich.
Unsichtbares begreifbar machen
Die moderne Bildwissenschaft zeigt, dass sich das Visuelle längst nicht ausschließlich aus den Bildern der Kunst ableiten lässt. Der Fokus auf diese Öffnung, die die Visualität als gemeinsames Ganzes aus unterschiedlicher Herkunft sieht, spielt in Katharina Sabernigs Arbeit eine große Rolle. Dadurch, dass Wissenschaftler*innen ständig mit Darstellungen, Modellen und Visualisierungen unterschiedlichster Art zu tun haben, diese auch zum Erkenntnisgewinn brauchen, ist es plausibel, dass wir hier nicht einer Medizinerin bei ihrem Hobby zuschauen. Vielmehr ist diese Tätigkeit, wie Katharina Sabernig sie ausführt, eine hochsensible Gratwanderung zwischen den Bereichen Wissenschaft und Kunst, Tradition und Aktualität, High und Low sowie eine Abwendung von obsoleten Kategorisierungen wie Kunstgewerbe und freie Kunst. Sabernigs Arbeit stellt dem Publikum aktuelle, drängende Fragen und Probleme in einer plausiblen Art vor. Erkenntnis und Transparenz sowie gesellschaftliche Relevanz werden heute auch von der Kunst selbstverständlich und vehement eingefordert. In Katherina Sabernigs „Gestrickter Anatomie“ sehen wir einen sehr wertvollen und attraktiven Beitrag dazu.
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Neue Galerie Graz
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8010 Graz, Österreich
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