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Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur

Die Stadt als Traumlandschaft und Erinnerungsraum, als Utopie und Tatort: In vielen Werken der österreichischen Literatur ist Wien Schauplatz des Geschehens. Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek bietet in seiner neuen Sonderausstellung „Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur“ ab 12. April 2019 überraschende literarische Einblicke in die Donaumetropole nach 1945. 

In den außergewöhnlichen Räumlichkeiten des Museums lässt sich eine Stadt aus Wörtern, Bildern und Tönen entdecken – in raumgreifenden Inszenierungen und anhand von über 300 Objekten, die sich zum überwiegenden Teil in den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek befinden. Die Manuskripte, Typoskripte, Buchobjekte, persönlichen Dokumente, Fotografien und Zeichnungen stammen dabei von über 40 AutorInnen: von Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Peter Handke, Josef Haslinger, Friedrich Heer, Bodo Hell, Peter Henisch, Ernst Jandl, Ruth Klüger, Trude Marzik, Frederic Morton, Julian Schutting, Manès Sperber, Hilde Spiel, Dorothea Zeemann u. v. a.; hinzukommen Filmausschnitte und selten zu hörende poetische Darbietungen, die Wien und seine Literatur auch sinnlich erfahrbar machen.

Eine Stadt „erschreiben“ und „erlesen“

„Wien ist anders.“ So lautet ein bekannter Slogan, mit dem seit Jahrzehnten für Österreichs Hauptstadt geworben wird. An Wien und seinen Eigentümlichkeiten arbeiten sich viele AutorInnen seit jeher ab. Ihre „Wortwege“ führen ins Zentrum und an die Peripherie, auf ihnen gelangt man in Gegenden, die so in keiner Karte verzeichnet sind. 

Das erste Kapitel der Ausstellung „Wienblicke“ lädt dazu ein, die Stadt anders zu sehen und ihr neu zu begegnen; das Sehen selbst rückt dabei oft in den Mittepunkt: In Ingeborg Bachmanns ursprünglich für den Roman „Malina“ vorgesehener Erzählung „Besichtigung einer alten Stadt“ (1971) wird Wien aus touristischer Perspektive in den Blick genommen – das Ergebnis ist eine satirisch­burleske Persiflage auf die Vermarktung Wiens und seiner Mythen. In der Ausstellung ist erstmals das Originalmanuskript aus dem Nachlass Ingeborg Bachmanns zu sehen. Von der Bedeutung urbaner Räume für die kulturelle Existenz des Menschen zeugt das Werk des bekannten Architekten und „Urbano-Poeten“ Bogdan Bogdanović, der im Wiener Exil ein nicht realisiertes „Mahnmal auf dem Weg des Friedens“ für die Donauinsel geplant hat. Als poetisches Panoptikum erscheint die Stadt im Gedicht „Wien. Eine Stadt mit Ärmelschoner“ der großen Stadtgängerin Elfriede Gerstl. 

Von Floridsdorf bis Favoriten

Abseits touristischer Highlights und einer pulsierenden Innenstadt öffnet sich mit der „Gstättn“ ein weites literarisches Feld. Die Peripherie ist Thema einer Literatur, die von den Übergangszonen zwischen Stadt und Land erzählt, sich an gängigen Wien-Klischees abarbeitet oder räumliche und soziale Ränder zusammendenkt. Das Alltagsleben im Wiener Gemeindebau und in der Vorstadt wird in den Dialektgedichten von Christine Nöstlingerund Trude Marzik zur Sprache gebracht. „Peripheriegeschichten“ erzählt auch Peter Henisch: Seine Texte führen in die Wiener Außenbezirke, nach Floridsdorf oder Favoriten, in Schrebergartensiedlungen oder in den Böhmischen Prater. Städtische Brachen, unverbaute Plätze oder wild verwachsene „Gstättn“ laden zum Streunen ein. In Schwarz-Weiß-Fotografien hielt Robert Menasse in den 1970er-Jahren Wiener Wohnhäuser fest, die gerade abgerissen wurden: Ruinen für den Moment, Ziegelhaufen, Hinterhöfe. In einer Collagearbeit für den kürzlich verstorbenen Friedrich Achleitner versammelt Gerhard Rühm „bausünden“. 

Kopfgänger und Fußgänger

Nicht wenige Figuren in Wien-Texten sind leidenschaftliche Fußgänger. Im Gehen sammeln sie Eindrücke, intensivieren sie ihre Wahrnehmung: Sie sehen, hören und riechen mehr – und wir mit ihnen, wenn wir ihnen auf ihren Kopfgängen und Fußmärschen folgen.

Die Erzähler in den Büchern Thomas Bernhards und Peter Handkesgehen oft zu Fuß. Bernhards „Gehen“ von 1971 und Handkes „Die morawische Nacht“ von 2008 sind ausgesprochene Geh-Texte. Bei aller Gegensätzlichkeit verbindet die beiden Texte Entscheidendes: Die Figuren sind Randgänger, wenn nicht gar Irrgänger; Fußgänger jedenfalls, die bei Bernhard mit unerbittlicher Regelmäßigkeit über die Friedensbrücke in die Klosterneuburger Straße im 20. Wiener Gemeindebezirk gehen – und dadurch auch eine soziale Grenze überschreiten. Handkes Erzähler beschließt am Wiener Flughafen, zu Fuß in die Stadt zu gehen: durch das Augebiet an der Donau bis zum legendären „Friedhof der Namenlosen“ in Sichtweite der beeindruckend-bizarren Anlage des Alberner Hafens in Wien-Simmering. 

Tatort Wien








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    Österreichischen Nationalbibliothek