Wien
Egon Schiele Werke
Diese Kinderzeichnungen sind Meisterwerke der Charakterisierungskunst. Überzeugend wecken sie den Eindruck einer großen Natürlichkeit. Der unruhige, zackige Zeichenstil charakterisiert die verlotterte Kleidung der Buben, die schwieligen Hände und zerbrechlichen Körper. Während Schiele die Knaben stets ohne jegliche Erotisierung darstellt, sexualisiert er die weiblichen Akte, die sich und ihren erotischen Leib immer in Bezug auf den Betrachter präsentieren und gleichsam ein heimliches Einverständnis zwischen der Verführerin und dem Verführten herstellen. Alles an diesen Akten rechnet mit der Wirkung, die ihr Anblick auslösen soll. Aus dem Geist der Tabus ihrer Zeit entstanden, demonstrieren diese Werke geradezu aggressiv die verdrängte kindliche Sexualität. Turbulente Jahre Schieles erste größere Einzelausstellung findet 1911 in Wien statt. Er lernt Walburga „Wally“ Neuzil (1894–1917) kennen, sie bleibt sein Lieblingsmodell und seine Partnerin bis Schiele 1915 Edith Harms heiraten wird. Mit Wally übersiedelt er im Mai 1911 nach Krumau, wo die romantische Altstadt ein bleibendes Thema seiner Kunst wird. Doch wird das in wilder Ehe lebende Paar schon Anfang August wegen ihres freien Lebensstils aus Krumau hinausgeekelt. Noch im August 1911 lässt Schiele sich in Neulengbach nieder, wo ihn Wally oft besucht. In geliebter Natur und doch in der Nähe Wiens, beginnt eine fruchtbare Schaffensphase. 1912 stellt er in Budapest, München, Dresden, im Museum Folkwang in Hagen aus und nimmt an einer Ausstellung des Wiener Hagenbundes teil, wo der Kunstsammler Franz Hauer auf ihn aufmerksam wird. In der legendären Sonderbundausstellung in Köln werden drei Werke von ihm gezeigt. Im November 1912 bezieht er das Atelier in Wien-Hietzing, das er zeitlebens behält. Gustav Klimt vermittelt ihn an die Industriellen- und Sammlerfamilie Lederer. Schieles finanzielle Verhältnisse verbessern sich.
Selbstsicht
Mit den Selbstthematisierungen und Rollenbildern betritt Egon Schiele Neuland. Schieles Einsicht in die veränderte gesellschaftliche Realität der Jahrhundertwende lässt ihn Selbstdarstellungen entwerfen, die Symbolfiguren psychosozialer Konflikte sind. Seine unterschiedlichen Rollenbilder und Selbstentwürfe sind nicht das Ergebnis einer Selbstbeschau des Künstlers: sie sind das theatralische Resultat der Erkenntnis, dass es ein kohärentes Innenleben im Zeitalter der Moderne nicht mehr gibt. Der Mensch ist sich, der Religion, seiner gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt entfremdet: Er ist aus dem Lot geraten.
Die V-Geste
Haftet dem Werk Egon Schieles schon in seiner Gesamtheit eine gewisse Zeichenhaftigkeit an, so hat insbesondere die Gestik der von ihm dargestellten Menschen von jeher die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf sich gezogen. Allen voran beschäftigte ein immer wiederkehrendes, rätselhaftes Handzeichen – zumeist, wenn auch nicht ausschließlich eines seiner Selbstbildnisse. Es geht um jene Geste, bei der die Hand flach ausgestreckt wird, alle Finger mit Ausnahme des Daumens aneinandergelegt werden, und dann zwischen Zeigefinger und Mittelfinger ein keilförmiger Spalt aufgespreizt wird. Aufgrund der dadurch entstehenden Form in Gestalt des Buchstabens V wurde dieses Zeichen „V-Geste“ benannt. Was aber soll die sonderbare, von Schiele immer wieder gezeigte Geste bedeuten? Der Blick zurück auf historische Kunstwerke weist hier den Weg: Kaum zufällig führt die erste Spur direkt in die Akademie der bildenden Künste in Wien, die Ausbildungsstätte Schieles. Ein in der dortigen Bibliothek noch heute vorhandener, 1908 erschienener Tafelband über die byzantinische Chora-Kirche in Konstantinopel zeigt eine zeichnerische Wiedergabe des großen Pantokrator-Mosaiks: Christus als Weltenherrscher. Dass die äußerst ungewöhnliche, zeichenhafte Handgeste dieses Christusbildnisses mit dem in V-Form gespreizten Zeige- und Mittelfinger Schiele sicher aufgefallen sein wird und ihm als Inspiration gedient haben muss, belegen mehrere seiner Selbstbildnisse. Schiele versteht sich als Heilbringer, seine Kunst als moralisch-ethische Vorgabe.
Im Gefängnis
Im April 1912 wird die künstlerische Karriere Schieles jäh unterbrochen. Seine Angewohnheit, Kinder aus den kleinbürgerlichen, sittenstrengen Familien der Nachbarschaft als Modelle zu nehmen, wird wie zuvor in Krumau nun auch in Neulengbach mit Argwohn beäugt. Als Schiele und Wally Neuzil die dreizehnjährige, von zu Hause ausgerissene Tatjana von Mossig ihrem Wunsch entsprechend nach Wien zu deren Großmutter bringen wollen, erhebt der Vater des Mädchens, ein pensionierter Marineoffizier, Anklage wegen Entführung und Schändung einer Minderjährigen. Am 13. April 1912 wird Schiele in Neulengbach verhaftet. Die Anschuldigungen erweisen sich am Ende zwar als haltlos. Weil aber Kinder in Schieles Atelier Aktstudien zu Gesicht bekamen, wird Schiele vom Kreisgericht St. Pölten zu drei Tagen Arrest wegen „ungenügender Verwahrung erotischer Akte“ verurteilt. 125 als „obszön“ befundene Zeichnungen werden beschlagnahmt. Eine Aktzeichnung wird symbolisch verbrannt. Während der über dreiwöchigen Untersuchungshaft entstehen jene Gefängniszeichnungen, die von der völligen Zerrüttung und zunehmenden Panik Schieles berichten. Schiele fürchtet, für das zu Unrecht vorgeworfene Delikt vielleicht zu zwanzig Jahren schweren Kerkers verurteilt zu werden. Nach seiner Entlassung übersiedelt Schiele nach Wien ins Atelier seines Freundes Dom Osen. Noch im selben Sommer reist er mit Wally nach Kärnten und Triest sowie an den Bodensee und nach München, wo er Werke des deutschen Expressionismus kennenlernt.
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