Wiener Jugendstils
Der Farbholzschnitt in Wien um 1900
Wien um 1900 ist ein Schmelztiegel der Kulturen und Künste. Die Hauptstadt ist Wiege der Salons, Künstlerzirkel und Kaffeehäuser, zugleich Metropole des erlesenen Geschmacks und der Kultur der Dekadenz, Sinnlichkeit und Anmut.
Mit einer Ausstellung zum Farbholzschnitt in Wien um 1900 widmet sich die Albertina einem bislang wenig beachteten Kapitel des Wiener Jugendstils und vereint rund 100 herausragende Werke aus der eigenen Sammlung. Carl Moll, Emil Orlik, Koloman Moser u. a. entdecken um 1900 mit dem Farbholzschnitt eines der ältesten Druckverfahren der Welt völlig neu: Mit der Betonung von Umrisslinien, der Stilisierung der Motive sowie dem Spiel mit Farbkontrasten entsprechen die Farbholzschnitte dem neuen Formideal des Jugendstils und werden zu beliebten Sammlerobjekten.
Ob Sigmund Freud oder Arthur Schnitzler, ob Gustav Klimt, Adolf Loos oder Karl Kraus – zahlreich und vielseitig sind die Protagonisten um die Jahrhundertwende in der Donaumetropole. Hinzu kommt die einzigartige Lust am intellektuellen Austausch zwischen Literatur, Musik, Theater und Bildender Kunst in bürgerlichen Salons sowie alternativen Künstlerzirkeln. Literaten, Maler, Kunsthandwerker, Architekten, Journalisten und Philosophen sind eng miteinander vernetzt und kennen einander nicht zuletzt auch durch die wienerische Institution des Kaffeehauses.
Die Vorreiterrolle der Secession
Die Künstlervereinigung Secession ist ein außergewöhnliches Beispiel für jene beispiellose künstlerische Dichte in Wien um 1900 und zugleich die Keimzelle des Wiener Jugendstils. Nach ihrer Abspaltung vom Künstlerhaus 1897 brechen die Secessionisten unter der Führung Gustav Klimts mit dem rückwärtsgewandten Historismus der Ringstraßenzeit und öffnen sich der Moderne. Alle Gattungen stehen gleichberechtigt nebeneinander, und Kunst soll das gesamte Leben durchdringen. Die Secession wird rasch zur einflussreichsten Künstlervereinigung Wiens.
Auch an der Entwicklung des Farbholzschnitts hat die Künstlergruppe besonderen Anteil: Während sich Klimt selbst nicht mit dem Farbholzschnitt befasst, verhelfen ihm andere prominente Secessions-Mitglieder wie Carl Moll, Koloman Moser und Maximilian Kurzweil zwischen 1900 und 1910 zu einer ungeahnten Blüte. In ihrem Ausstellungshaus nahe dem Karlsplatz veranstalten die Secessionisten zwischen 1900 und 1904 einige vielbeachtete Ausstellungen, in denen Farbholzschnitten breiter Raum gewidmet ist. Einen Glanzpunkt des Wiener Ausstellungsgeschehens bildet 1908 die Kunstschau, in der die gesamte heimische Farbholzschnittszene vertreten ist.
Für die Etablierung des Wiener Farbholzschnitts ebenso wichtig sind Zeitschriften: Die luxuriös gestaltete Vereinszeitschrift Ver Sacrum (lateinisch für „Heiliger Frühling“) publiziert zwischen 1898 und 1903 rund 220 Farbholzschnitte und verbreitet so die Ideen der Secessionisten mittels anspruchsvoller Buchkunst – freilich zu einem Preis für ein elitäres Publikum. Der programmatische Titel der Zeitschrift bezieht sich auf den secessionistischen Neuanfang nach der Stagnation während des Historismus – mit kunsttheoretischen Artikeln, praktischen Beispielen der neuen Ästhetik sowie Beiträgen in- und ausländischer SchriftstellerInnen kommt das Kultblatt der Forderung Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit mehr als nur treffend nach.
Die Wiederentdeckung des (Farb-)Holzschnitts
Der Holzschnitt ist damals keine neue Erfindung, sondern vielmehr die Wiederentdeckung eines der ältesten Druckverfahren der Welt: In China wird bereits im 4. Jahrhundert auf Papier gedruckt. Um 1500 erlebt der Holzschnitt mit Albrecht Dürer in Europa einen künstlerischen Höhepunkt. Den entscheidenden Beitrag zur Herausbildung des Farbholzschnitts liefern Dürers Zeitgenossen Lucas Cranach und Hans Burgkmair sowie Ugo da Carpi in Italien. Andere Drucktechniken verdrängen allerdings schon bald den Holzschnitt, der lange nur als Reproduktionsmedium dient, bis er im 19. Jahrhundert in großen Teilen Europas wiederbelebt wird. Edvard Munch revolutioniert den Farbholzschnitt und eröffnet ihm an der Wende zur Moderne radikal neue Ausdrucksmöglichkeiten. Im Unterschied zum Holzschnitt in Schwarz-Weiß stellen Kunstschaffende beim Farbholzschnitt für jede Farbe einen eigenen Druckstock her, auf dem die Zeichnung jeweils seitenverkehrt erscheint. Auf dem Papier drucken sich die erhabenen Stege und Flächen seitenrichtig ab, während in die Druckplatte vertiefte Stellen keinen Abdruck hinterlassen. Die Druckstöcke werden nacheinander auf einen Papierbogen gedruckt und ergeben zusammen das fertige Bild. Die Farben können variiert werden, sodass es von manchen Werken unterschiedliche Fassungen gibt.
In die Ausstellung integriert sind außerdem verwandte Techniken wie der Linolschnitt, deren Ergebnisse oft kaum von denen des Holzschnitts zu unterscheiden sind. Ab 1905 entwickelt beispielsweise Jungnickel eine Schablonenspritztechnik, während Franz von Zülow 1907 für den Papierschnittdrucks ein Patent erhält. Von Moll bis Zülow Jedem Künstler der Schau ist ein eigener Bereich gewidmet – so ist eine intensive Konzentration auf die einzelnen Künstlerpersönlichkeiten und ihre Werke möglich: Carl Molls bekannte Stadtansichten und Koloman Mosers flächenhaft stilisierte Drucke sowie originale Druckstöcke von Maximilian Kurzweil bilden den Auftakt. Selbstbewusste Frauenfiguren von Carl Anton Reichel stehen zu Beginn der Ausstellung in krassem Gegensatz zu dem verfeinerten, schönlinigen Frauenbild des Jugendstils anderer Künstler. Zentral in der Schau sind die farbenprächtigen Tiere Ludwig Heinrich Jungnickels: Mit viel Gefühl für Form und Bewegung erfasst er Raubkatzen oder Vögel in ihren jeweils charakteristischen Eigenheiten. Seine formvollendeten Tierdarstellungen und experimentellen Schablonenspritzarbeiten bilden den Hauptteil der Ausstellung.
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19.10.2016 - 15.01.2017
Täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
Mittwoch 10.00 bis 21.00 UhrErwachsene 11,90