21er Haus
Anna Jermolaewa - Beide Weiß
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Ausstellung14.10.2016 - 22.01.2017
Welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Machtverhältnissen sind wir ausgesetzt? Und wie lassen sich im Alltag Erfahrungs - und Handlungsräume erschließen? Fragen wie diese beschäftigen die 1970 in St. Peterburg geborene und seit 1989 in Wien lebende Künstlerin Anna Jermolaewa schon lange. Sie findet ihre Bilder im Hier und Jetzt, richtet die Aufmerksamkeit auf Nebensächlichkeiten, auf Selbstverständliches, dem letztlich das große Ganze menschlicher Existenz eingeschrieben ist. Jermolaewas Motive bes techen gerade in ihrer Einfachheit und zeugen zugleich vom analytischen Interesse der Künstlerin an Strukturen, in denen sich soziale, politische oder auch geschlechtsspezifische Ungleichheit äußert. Ihr Blick ist dabei niemals selbstgefällig oder pathetis ch, vielmehr entlarvend ironisch, manchmal sogar von beißendem Humor und stets emphatisch. Die Ausstellung Beide Weiß versammelt Werke von den frühen 1990er -Jahren bis heute und umfasst neben Jermolaewas bevorzugten Medien Fotografie und Video auch maleris che, zeichnerische, skulpturale und installative Arbeiten Einleitung Von Luisa Ziaja Die titelgebende Arbeit der Präsentation einer Auswahl von Werken der in St. Petersburg geborenen und seit den 1990er -Jahren in Wien lebenden Künstlerin Anna Jermolaewa, B eide Weiß (nach Valeria Mukhina) , wirkt in ihrer reduzierten Formensprache und Materialästhetik wie eine minimalistische Installation: Eine weiße und eine schwarze Pyramide sind auf einem schwarzen Tisch platziert, unweit davon hängt ein gerahmtes Aquare ll, das die beiden Objekte zweidimensional abbildet, wobei unklar bleibt, welches Eleme nt das andere reproduziert. Vielleicht ist das auch nicht so wichtig, jedenfalls stellt die Arbeit die Kunstfertigkeit Jermolaewas in beiden Medien aus. Ginge es hier a ber ganz in der Tradition der Minimal Art um die reine, selbstreferenzielle geometrische Form, die auf nichts als sich selbst verweist, würde es sich mit Sicherheit nicht um eine Installation der Künstlerin handeln. Zwar eignet sich Jermolaewa, wohl unter dem Eindruck eines längeren Aufenthalts in New York, bei dem sie permanent mit der Minimal -Ästhetik konfrontiert war, diese an, sie verlässt aber die programmatische Selbstbezüglichkeit zugunsten des hinter der Form stehenden Narrativs: Der Titel referiert auf die sowjetische Psychologin Valeria Mukhina und ihre Experimente zum Konformitätsverhalten von Individuen in einer Gruppenkonstellation.
Basierend auf ähnlichen Versuchsanordnungen ihres polnisch- amerikanischen Kollegen Solomon Eliot Asch, die der Ge staltpsychologe in den 1950er -Jahren in den USA durchgeführt hatte und deren Ergebnis das schockierende Ausmaß manipulativen Konformitätsdrucks belegte, übertrug Mukhina das Experiment in den 1970er -Jahren in die UdSSR. Dort waren die Forscherinnen und For scher überzeugt von der Widerstandsfähigkeit ihrer Probanden. Doch entgegen der gegebenen, augenfälligen Faktizität einer weißen und einer schwarzen Pyramide waren die Testgruppen – mit jeweils einem Probanden, der der Manipulation der restlichen Mitgliede r ausgesetzt war – der Meinung, beide seien weiß.
Fragen danach, welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Machtverhältnissen das Individuum ausgesetzt ist und wie sich im Kleinen, im Alltäglichen Erfahrungs - und Handlungsräume für die Einzelne und den Einzelnen erschließen lassen, beschäftigen Anna Jermolaewa schon lange. Die Motive ihrer Videos, Fotografien und Installationen bestechen gerade in ihrer Einfachheit und zeugen zugleich vom analytischen Interesse der Künstlerin an (hegemonialen) Struk turen, in denen sich soziale, politische oder auch geschlechtsspezifische Ungleichheit äußert.
Jermolaewa findet ihre Bilder im Hier und Jetzt, richtet ihren Blick auf Nebensächlichkeiten, auf Selbstverständliches, dem letztlich das große Ganze menschlich er Existenz eingeschrieben ist. Ihr Blick ist dabei niemals selbstgefällig o der pathetisch, vielmehr entlarv end ironisch, manchmal sogar von beißend em Humor und stets emphatisch.
So zeigt etwa das fortlaufende Langzeitprojekt 5 Jahresplan, das sie seit 19 96 alle fünf Jahre durchführt und als ihr Lebenswerk bezeichnet, immer dieselbe Kameraeinstellung auf die Rolltreppe einer Petersburger U -Bahn- Station. Die lapidare Momentaufnahme hält Menschen in Bewegung fest, die sich über die Jahre sonderbar ähneln, auch wenn sich ihre Lebenswelt grundlegend verändert hat. Jermolaewa navigiert zwischen den Realitäten des postkommunistischen Ostens und des spätkapitalistischen Westens wie auch in all den Zwischenzonen und fängt die Manifestationen und Materialisierungen ökonomischer, politischer und sozialer Verhältnisse und ihrer geschichtlichen Dimension ein. Sie porträtiert die Katzen der Petersburger Eremitage, die als veritable Mitarbeiter des Museums gelten können, und erzählt zugleich die Geschichte der Belagerung der Stadt durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg. Oder davon, wie der bis vor wenigen Jahren geltende sogenannte „Disney -Look“ in Form von Verordnungen und Verboten, beispielsweise einen Bart oder Make- up zu tragen, dem Management des Vergnügungsparks direkten Zugriff auf die Körper seiner Mitarbeiteri nnen und Mitarbeiter erlaubte.
Als Flaneurin mit der Videokamera hält Jermolaewa Realitäten Einzelner und Vieler fest, in einer Art, wie sie wohl Walter Benjamin gefallen hätte, mit einem Blick, der uns eine Ahnung davon gibt, was er wohl gemeint haben könnte, als er davon schrieb, dass der historische Materialist angehalten sei, die Geschichte – und man könnte wohl hinzufügen auch die Gegenwart – gegen den Strich zu bürsten und darauf zu bestehen, dass s chwarz schwarz ist und nicht weiß.
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21er Haus
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