Retrospektive
„Hanne Darboven. Aufklärung" im Haus der Kunst, München
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Ausstellung11.09.2015 - 17.01.2016
„Der Reichtum des Werks von Hanne Darboven gibt die Art vor, wie wir es präsentieren", sagt Okwui Enwezor über dieses Ausstellungsvorhaben. Die erste große Retrospektive seit dem Tod der Künstlerin ist im Ostflügel des Haus der Kunst auf 2000 qm angelegt und macht neben dem bildnerischen Werk auch die Kompositionen erfahrbar. Beide bestimmen das mehr als vier Jahrzehnte umspannende Schaffen von Hanne Darboven (1941-2009) wesentlich und hängen unmittelbar zusammen.
Die Retrospektive wird von der Bundeskunsthalle in Bonn und dem Haus der Kunst in München gemeinsam organisiert und zeitgleich präsentiert. Beide Institutionen beleuchten das Lebenswerk von Hanne Darboven in seiner ganzen stilistischen Breite und setzen dabei doch verschiedene Schwerpunkte. Die Bundeskunsthalle stellt mit „Hanne Darboven. Zeitgeschichten" (11.9.15 - 17.1.16) Werke in den Mittelpunkt, die sich mit politischen Ereignissen und deutscher Geschichte befassen. Im Haus der Kunst wird Hanne Darbovens Nähe zur Gedankenwelt der Aufklärung gezeigt: die umfangreichen Werkserien, in denen die Künstlerin Themen aus Kulturgeschichte, Musik, Literatur, Ethnografie, Anthropologie, Geografie und (Natur-)Wissenschaften behandelt.
Einen Höhepunkt bildet die Rekonstruktion des "Musikzimmers". Es beherbergt eine umfangreiche Sammlung von Musikinstrumenten, die Hanne Darboven mit Objekten aus anderen Ideenwelten mischt, z.B. mit einem übergroßen Schweizer Taschenmesser, privaten Dokumenten, afrikanischen Kleinplastiken und Jagdtrophäen ihres Vaters. Auf diese Weise bricht sie mit jedem enzyklopädischen Anspruch und etabliert eine individuelle Systematik. Ursprünglich war das Musikzimmer das Wohnzimmer der in Hamburg-Harburg ansässigen Familie, die über Generationen mit Kaffee und Kolonialwaren handelte. In München wird es zum ersten Mal als Einheit und in einer für den Besucher begehbaren Form ausgestellt. Dieser reichhaltige Kosmos gewährt Einblick in Aspekte von Hanne Darbovens Leben und Schaffen, die normalerweise der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.
Hanne Darboven ist bekannt für ihre seriellen Blattfolgen, die sie mit Zahlenreihen, der Ermittlung von Quersummen aus Daten, sowie mit Schrift und gleichmäßigen U-Bögen füllte. 1971 begann die Künstlerin mit ihrer Praxis des Abschreibens. Handschriftlich kopierte sie die ersten fünf Gesänge der „Odyssee" von Homer, schlug den Bogen über die Zeit der Aufklärung und die Weimarer Klassik bis zur Kritischen Theorie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Die Auswahl der Texte ergab sich aus dem, was ihr im Hinblick auf ihre eigene Arbeit wichtig war. Das Wissen, das die Künstlerin durch diese Niederschrift verinnerlicht, zeigt Sprache in ihrer Materialität, als Medium des Denkens. Ihren Ursprung hat diese Haltung in der Aufklärung, eine Epoche, in der die Herausbildung eines eigenständig denkenden Ichs angestrebt wurde. Hanne Darboven berief sich auf einen Aphorismus des Physikers Georg Christoph Lichtenberg: nicht denken, was die Alten dachten, sondern so denken wie sie dachten.
Seit den 1960er-Jahren erneuerten Autoren wie Alain Robbe-Grillet, Georges Perec, Nathalie Sarraute und Philippe Sollers das Genre der Autobiografie. Sie verschwanden als Identifikationsfigur für den Leser zwischen den Zeilen, den Sprach- und Rechenspielen ihrer Texte. Freiwillig unterwarfen sie sich beim Schreiben erfundenen Formzwängen und verwehrten dem Leser, zur Bewertung und Deutung der angebotenen Dingwelt vorzustoßen. Hanne Darboven agierte ähnlich, etwa in „Für Jean Paul Sartre" von 1975. Hier fügte sie autobiografische Passagen aus Sartres „Die Wörter" und ein Interview, das Sartre 1975 gegeben hatte, zu einer Collage. Ende der 1970er-Jahre begann sie, die umfangreichen Blattfolgen mit Bildmaterial zu unterbrechen - Postkarten, kleinen Sammelbildern und Fotos - sowie Skulpturen in ihre Werke zu integrieren, meist Objekte aus ihrer umfangreichen Sammlung. Diese Strategie, Blattfolgen mit Zahlenreihen und Schrift zu füllen und ihre Schreibarbeiten mit Bildmaterial zu rhythmisieren, war nicht darauf ausgerichtet, dem Betrachter Zugang zu ihren Gefühlen und ihren Erlebnissen zu ermöglichen. Vielmehr wuchs ein Text-Bild-Korpus heran, das wie die experimentelle Literatur der damaligen Zeit das Vergnügen für den Leser oder Betrachter nicht in der emotionalen Identifikation mit dem Autor und seinen Figuren ansiedelt, sondern in der Freude an Ästhetik und Kompositionsregeln.
Das Layout der Vordrucke für die „Schreibzeit" (1980er-Jahre) stiftet die formale Einheit der Blattfolgen und findet in mehreren Werken Verwendung. Es ist eine Referenz an das charakteristische Layout des SPIEGEL-Titelblatts mit seinem signalroten Rand. Die Verwendung von diesem Signalband, von Fotos und Ansichtskarten gipfelt in der „Kulturgeschichte, 1880-1983". Sie ist mit ihrer Fülle an Material das komplexeste Werk: 1.590 einzeln gerahmte Blätter inklusive 30.000 Postkarten, dazu 19 Skulpturen, darunter ein Holzpferd und ein Mannequin-Paar in 1980er-Trainingsanzügen, um nur einige Details zu nennen.
Der Prozess des Schreibens war für Hanne Darboven „ein Aufzeichnen im Sinne von Dasein, ... Durcharbeitung". Ihre Schreibarbeit war in einen stark reglementierten Tagesablauf eingepasst. Wie ein Fabrikarbeiter verrichtete sie ein tägliches Soll. Ihr prozesshaft angelegtes Vorgehen bot ihr die Möglichkeit zum Rückzug aus weltlichen Verstrickungen, und diente ihr gleichzeitig als Selbstvergewisserung.
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11.09.2015 - 17.01.2016
Oeffnungszeiten: Mo – So von 10 – 20 Uhr, Do 10 – 22 Uhr