Sammlung
Jugendstil. Die große Utopie
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Ausstellung17.10.2015 - 28.02.2016
Mit der Ausstellung „Jugendstil. Die große Utopie“, begleitet durch die Neupräsentation der Sammlung Jugendstil, zeichnet das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) eine Epoche nach, die weit mehr hervorbrachte als verspieltes Dekor. Der Jugendstil definiert sich über Reformansätze, Visionen und Utopien, die auf eine Erneuerung der Gesellschaft ausgerichtet sind. Die Sonderausstellung beleuchtet diese kulturhistorischen Hintergründe und Entwicklungen und schlägt den Bogen von Karl Marx‘ „Kapital“ bis zu Peter Behrens‘ Salonflügel mit Zitaten aus Friedrich Nietzsches „Zarathustra“. Sie zeigt Reformkleider, ein Solarbad für Sonnenhungrige, Fotografien von nackten Freiluft-Sportlern oder Loïe Fullers berühmte Lichttänze. Die Künste greifen die umwälzenden Veränderungen im privaten und gesellschaftlichen Leben des modernen Menschen auf, entwerfen neue Lebensmodelle und experimentieren mit technischen Neuerungen. Gustav Klimt, Edvard Munch und Alfons Mucha spiegeln die vielfältigen Projektionen auf die Frau. Ferdinand Hodler, Paula Modersohn-Becker studieren das Kind. Immer wieder ist die Natur Inspirationsquelle, besonders für die angewandten Künste.
Der Jugendstil markiert auch eine Zäsur für die Kunstgewerbemuseen, die bisher zur Anschauung ausschließlich historische Vorbilder zeigen. In dieser Zeit beginnt man, auch zeitgenössische Kunst zu sammeln. Die Neueinrichtung der heute so bedeutenden Jugendstil-Sammlung des MKG orientiert sich an der ersten Präsentation, die Museumsgründer Justus Brinckmann 1900 mit seinen Ankäufen auf der Pariser Weltausstellung einrichtete. Sie zeichnet zudem mit verschiedenen Möbeln und Raumensembles u.a. von Henry van de Velde, Richard Riemerschmid, Charles Rennie Mackintosh oder Carlo Bugatti ein Bild vom Spektrum der ästhetischen Konzepte und Formsprachen am Beginn des 20. Jahrhunderts nach. Das Projekt zeigt insgesamt über 350 Werke, darunter Malerei, Skulptur, Druckgrafik, Fotografie, Zeichnung, Keramik, Glaskunst, Buchkunst, Mode, Textilkunst, Plakate, historische Filme, naturwissenschaftliche und medizinhistorische Apparaturen und Modelle.
Wie wollen wir leben? Das fragen sich die Zeitgenossen um 1900 angesichts umwälzender Entwicklungen und Erfindungen. Elektrizität, Evolutionstheorie, Psychoanalyse, Röntgenstrahlen und andere Errungenschaften verändern das soziale und private Leben grundlegend, lösen Euphorie und Angst zugleich aus. Die Künste werden zum Mittel der Weltverbesserung, der Jugendstil zum Ausdruck einer mutigen Reformbewegung von Künstlern quer durch Europa. Sie fordern den verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen und Arbeitskraft, streben nach selbstbestimmtem Arbeiten als Lebenssinn. Das Individuum wird in seinen Befindlichkeiten ernst genommen. Geschlechterrollen brechen auf. Die Kritik an der Entfremdung des Menschen von sich selbst in der modernen Industriegesellschaft befördert eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit. Das Kind wird zum Symbol der Unschuld, die Suche nach dem Unberührten führt in die Ferne, in die Natur.
Die Sonderausstellung
Die Künstler des Jugendstils begehren auf gegen die noch neue Konsumkultur, gegen die standardisierte Massenware minderer Qualität, die zum Teil unter prekären Umständen produziert wird. An deren Stelle sollen hochwertige Produkte treten, deren Schönheit die Lebensqualität des Menschen in seinem Alltag hebt. An der Speerspitze der englischen Arts & Crafts-Bewegung legt der Designer und Theoretiker William Morris den Grundstein für die Reformbewegungen um 1900. Der überzeugte Sozialist erschafft in seinen Stoff- und Teppichentwürfen, die nach alten Techniken mit der Hand statt der Maschine gefertigt wurden, eine Gegenwelt zur britischen Textilindustrie. Mit der Tapisserie „Der Pilger und die Rose“ wird die Poesie der mittelalterlichen Kultur beschworen. Morris‘ ganzheitlicher Anspruch auf Qualität vom Schriftentwurf bis zur Handpresse führt auch zur Renaissance der Buchkunst. In der utopischen Novelle „News from Nowhere“, „Kunde von Nirgendwo“, die dem Auftaktkapitel seinen Namen gibt, entwirft Morris ein sozialistisches Lebens- und Arbeitsideal. Hier ist auch der selten gezeigte „Kelmscott Chaucer“ zu sehen, der zu den schönsten Exemplaren der Buchkunst des Arts & Crafts gehört. Verführerische Schönheit wird zum zentralen Anliegen dieses englischen Ästhetizismus um 1900. Gabriel Charles Rossetti huldigt ihrer Ambivalenz in dem Gemälde „Helena von Troja“.
Neben dem Mittelalter definieren moderne Künstler um 1900 auch andere, von der „Zivilisation“ vermeintlich „unberührte“ Sehnsuchtsorte wie die Südsee. Die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit prägt etwa die Kinderporträts von Ferdinand Hodler und Paula Modersohn-Becker. Ein Vitrinenschrank, Malerei, Grafik und selten gezeigte Keramiken von Paul Gauguin sind Ausdruck dieser aktiven oder imaginären Zivilisationsflucht, mit der die Hoffnung auf ein authentischeres Leben verbunden wird. Auch der kulturelle Dialog mit dem Kunsthandwerk Japans spielt eine wichtige Rolle und zieht sich als Thema Inspiration Japan durch die Ausstellung, etwa in Carl Otto Czeschkas kimono-ähnlichem Gewand, dessen grafisches Muster das Meeresthema der japanischen Färbeschablonen zitiert.
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17.10.2015 - 28.02.2016
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintrittspreise: 10 € / 7 €, Do ab 17 Uhr 7 €, bis 17 Jahre freiRahmenprogramm: Am Sonntag, den 5. Oktober 2014, führt Kuratorin Dr. Nora von Achenbach um 15 Uhr in dieAusstellung ein und erklärt anhand der ausgestellten Paravents, wie sich das Möbel nicht nur technisch, sondern auchkünstlerisch weiterentwickelte.