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RE-SET: Aneignung und Fortschreibung in Musik und Kunst seit 1900

Im 20. Jahrhundert erhält traditionelle Musik aber durch den ethnologischen Blick und durch die technische Aufzeichnungsmöglichkeit des Phonographen ein neues, starkes Gewicht. Komponisten entdecken die Volksmusik als authentisches, um nicht zu sagen frisches Material für Kompositionen im Zeichen der Moderne. Als einer der ersten sammelt Béla Bartók Volksmelodien in Südosteuropa, mit wissenschaftlicher Akribie, aber auch um sie zur Basis seiner eigenen Kompositionen zu machen. In seinen Fussstapfen betreibt auch der 1949 in die Schweiz emigrierte Sándor Veress intensive Feldforschung und arrangiert zahlreiche Volkslieder. Andere greifen indessen auf publizierte Sammlungen von Volksmusik zurück, so der Pole Witold Lutosławski in seinem populären Konzert für Orchester oder Darius Milhaud und Stefan Wolpe, die in den Liedern der Ostjuden ihre Wurzeln entdecken. Nach dem zweiten Weltkrieg und erst recht seit den 1960er Jahren öffnet sich der Blick weit über Europa hinaus. Luciano Berio skizziert mit seinen Folk Songs gleichsam eine musikalische Weltreise, und Steve Reich studiert in Ghana afrikanische Trommelkunst, eine Erfahrung, aus der sein legendäres Kultstück Drumming hervorgeht. Einer fiktiven Volksmusik, die sich von trivialisierter Schweizer Ländlermusik ironisch distanziert und sich mit experimentellen Klängen mischt, begegnen wir in Heinz Holligers Alb-Chehr, einer «Geischter- und Älplermüsig» für die Oberwalliser Spillit, die eine Sage aus dem Wallis aufgreift.

Unterschwellig elitär – Popularisierung und Nobilitierung
Komponisten des 20. Jahrhunderts haben an Jazz und populäre Musik weniger oft angeknüpft, als sie es mit Stücken aus der Musikgeschichte oder mit Volksmusik taten. Ein gewichtiger Grund für diese Zurückhaltung mag in den gegensätzlichen Strukturprinzipien liegen: Wo die Konzertmusik des 20. Jahrhunderts zu grossen Teilen auf tonale Gebundenheit und regelmässige Rhythmik verzichtet, stellen diese für populäre Musikarten Grundpfeiler der Gestaltung dar; und wo sich in der musikalischen Avantgarde vor allem nach 1945 eine Ästhetik aufgebrochener Klangverläufe durchsetzt, hält die populäre Musik an den grundlegenden Schichten von Melodie und Begleitung fest. Dennoch kam es immer wieder zu Bearbeitungen und Adaptionen populärer Musik, die nicht selten gewichtige und höchst überraschende Beispiele hervorbrachten, so etwa, wenn Dmitri Schostakowitsch den Schlager Tea for Two instrumentiert, wenn Conlon Nancarrow sich Boogie-Woogie-Patterns zunutze macht oder Louis Andriessen und Luciano Berio Stil-Parodien von Beatles-Songs erstellen. Und nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang die Bearbeitung von Musik zum Zweck ihrer medialen Verwendung, vor allem im Rahmen von Kinofilmen. Dass beispielsweise Igor Strawinskys Sacre du printemps oder György Ligetis Atmosphères für Soundtracks adaptiert wurden, brachte ihnen eine mediale Verbreitung und Popularisierung ein, die sie als Ballett- oder Konzertmusik kaum je erlangt hätten.

KUNST
Kunstgeschichte ist per se ein komplexes System von Zitaten und Wiederholungen von schon vorhandenen Motiven und deren gleichzeitiger kreativer Umformung und Neuinszenierung. Grundsätzlich war Kunst seit jeher kopierbar, doch nie waren das Reproduzieren und die Neubearbeitung von Inkunabeln der Kunstgeschichte wie auch von alltäglichen Bildwelten so einfach wie heute. Der kunsthistorische Prolog der Ausstellung «RE-SET» konzentriert sich auf die Frage, wie Marcel Duchamps ikonische Idee des Readymades als Katalysator neuer Werke dient. Der Begriff des Readymades als ein schon vorhandener, vorfabrizierter Alltagsgegenstand, der allein durch die Geste seiner Auswahl zur 'fertig vorgefundenen Skulptur' erklärt wird, war von Duchamp Anfang der 1910er-Jahre nur als konzeptuell existierende Idee formuliert worden. Exemplarisch markierte dieses Konzept das Ende aller bis dahin gültigen traditionellen Parameter des künstlerischen Schaffens: individuelle Autorenschaft, handwerkliche Könnerschaft, Einzigartigkeit und damit die Idee des Meisterwerks, die Unterscheidung von Original und Kopie, all diese Begriffe wurden radikal in Frage gestellt. In den 1960er-Jahren waren diese Parameter von höchster Brisanz auf dem Weg hin zum offenen Kunstwerk. Zahlreiche Künstler/Innen erklärten das Readymade-Prinzip zum Katalysator ihres Schaffens. Dabei wurde es mehrfach umgedeutet, verselbständigte sich und wurde schliesslich mit dem Begriff des objet trouvé gleichgesetzt.






  • 28.02.2018 - 13.05.2018
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    Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag: 11 – 18 Uhr

     



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  • Bethan Huws Forest, 2008–2009 Courtesy of the artist & Galerie Tschudi, Zuoz © Bethan Huws; Foto: Stephan Rohner, St. Gallen
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